Sperrgebiet, Buch 1
Die Hüter der Vorhölle
von Yuri Ulengov
1.Kapitel
Erdföderation, Orionsystem
Planet Rhapsodie, Sektor 3 der grauen
Zone des Sperrgebiets. Einstufung: Bedingt sicher
Abwurfzone.
DIE RETTUNGSKAPSEL schlug so hart auf dem Boden auf, dass ich für einen Moment das Bewusstsein verlor. Meine inneren Organe schienen ihre Plätze getauscht zu haben. Hey, wenigstens war ich nicht in Stücke gerissen worden. Aber viel hatte nicht gefehlt. Hätte der Motor nur zehn Sekunden früher schlapp gemacht, wäre von mir jetzt nur ein nasser Fleck übrig.
Laut Vorschriften hätten die Umkehrschubdüsen laufen sollen, bis die
Landung vollständig abgeschlossen war. Aber laut Vorschriften hätte die Kapsel auch
längst verschrottet werden müssen. Das wurde sie zwar jetzt – aber mit mir
drin. Offensichtlich scherten die Mechaniker sich einen Dreck darum, wie es dem
Passagier beim Abwurf erging. Und Treibstoff verschwenden, um für einen wie
mich eine sanfte Landung zu gewährleisten? „Vergiss es!“, wie ein mir bekannter
Nerd sagen würde.
Nach dem Aufprall auf den Boden schnellte die Kapsel nach oben und hüpfte
wie ein Frosch von Fels zu Fels. Das
Sicherheitssystem war ausgebaut worden, sodass es nichts gab, was sie daran
hindern würde. Ich baumelte im Inneren in den Gurten (Gott sei Dank waren die
wenigstens nicht entfernt worden!), biss die Zähne fest zusammen, um meine
Zunge nicht zu verletzen, und betete nur um eines: dass der nächste Aufprall
nicht tödlich sein würde.
Entweder hatten meine Gebete ihren Empfänger erreicht oder ich hatte in den
letzten Monaten meinen gesamten Vorrat an Pech verbraucht – keine Ahnung, aber ich
überlebte. Zu einer verbeulten Dose deformiert kam die Kapsel endlich zum
Stehen. Ohne Zeit zu verschwenden befreite ich mich aus den Gurten. Theoretisch
war in der Kapsel nichts vorhanden, was Feuer fangen könnte, aber außer der
Brandgefahr gab es noch andere Bedrohungen.
Ein AR-Schriftzug leuchtete vor meinen Augen auf:
Willkommen im Sperrgebiet!
Ja genau, ihr mich auch! Ich kämpfte weiter mit den Gürtelschnallen, die brav
Murphys Gesetz befolgten und sich im ungünstigsten Moment verkeilt hatten.
Achtung! Sie befinden sich in der Grauen
Zone. Einstufung: bedingt sicher. Keine Anwesenheit von aggressiver Fauna und
Mechanismen. Beachten Sie, dass Waffen der Bedrohungsstufe 6 und höher in der
Grauen Zone verboten sind. Die Verwendung solcher Waffen zieht schwerwiegende
Konsequenzen nach sich. Weitere Informationen finden Sie in der Hilfe.
Die NewVision Corporation
empfiehlt Ihnen dringend, Ihr Leben und Ihre Gesundheit zu versichern. Im Falle
Ihres Todes wird eine Entschädigung an die von Ihnen angegebenen Personen
gezahlt.
Fehler. Der Spieler wurde als
Gefangener Nr. 33286AN identifiziert, der im Rahmen des Strafersatzprogramms in
das Sperrgebiet geschickt wurde. Versicherung: nicht verfügbar. Briefing: nicht
verfügbar. Hilfe: nicht verfügbar bis Level 5 und Initiierung.
Seien Sie vorsichtig und aufmerksam.
Vergessen Sie nicht, Ihr Starterkit mitzunehmen.
Danke für nichts!
Ich hatte mich vom letzten Gurt befreit und versuchte, die Luke zu öffnen. Nun
geh schon auf! Erstaunlich, dass dieser zusammengeschraubte Eimer nicht schon beim
Eintritt in die Atmosphäre auseinandergefallen war. Hoffentlich funktionierte
das Notentriegelungssystem noch. Ich wollte nicht lebendig in diesem
Blechhaufen begraben werden.
Ich fand einen großen, pilzförmigen Knopf und trat mit dem Fuß dagegen. Die
Zündpatronen ploppten, die Kapsel schwankte - und die abgesprengte Luke flog in
die Dunkelheit davon. Kalter Wind pfiff mir entgegen. Verdammter Mist, das war
eine sichere Methode, sich eine Lungenentzündung zu holen! Natürlich
funktionierte auch die Klimaanlage in der Kapsel nicht. Während des kurzen
Abstiegs aus dem Orbit wäre ich fast bei lebendigem Leib gekocht worden, und
jetzt war ich völlig durchgeschwitzt. Na ja, wenigstens atmete ich noch. Ich
steckte das Starterset in meine Brusttasche und streckte mich, um meine Muskeln
zu dehnen. Ich musste so schnell wie möglich von hier verschwinden.
Ich war mir sicher, dass sie draußen schon auf mich warteten. Köter, Schakale, Aasfresser - sie hatten
hier verschiedene Namen. Kleine Fische, maximal auf Level 3, unfähig zum selbstständigen
Handeln und zu schade für ein Upgrade. Bastarde, die nur in der Lage waren, Nullen aufzulauern, die gerade am Anfang
standen - entmutigt, verängstigt, noch nicht an die Umgebung angepasst und ohne
Zeit, sich auch nur umzusehen. Schakale
vermieden das Innere des Sperrgebietes, wo sie Gefahr liefen, den höher
entwickelten Bewohnern zum Opfer zu fallen. Nein, sie lebten hier, in der
Sandbox. Und hier starben sie auch, wenn sie auf eine besser vorbereitete Null trafen, so eine wie mich.
Als ich aus der Kapsel glitt, sah ich einen Schatten, der sich gefährlich
nah auf mich zubewegte, und sprang zur Seite. Gutes Timing!
Ein nicht identifiziertes Objekt pfiff durch die Luft, genau dort, wo eben
noch mein Kopf gewesen war. Ich griff mir ein Stück Ziegelstein vom Boden und
warf es mit voller Wucht in die Dunkelheit, in Richtung des Geräusches. Es gab einen
dumpfen Schlag und ein klirrendes Geräusch. Das Implantat zeigte eine neue
Systembenachrichtigung an. Dafür war jetzt keine Zeit. Ich blinzelte, um die
Nachricht beiseite zu wischen. Ich würde sie später lesen.
Ich stürzte dorthin, wo mit einem Klirren der Armierstab des Schakals auf den Boden gefallen war.
Meine Finger schabten unangenehm über den Stein und schlossen sich um den „Griff“,
um den eine Schnur gewickelt war. Wiederum gutes Timing. Hinter mir hörte ich das
Geräusch eines Kieselsteins, der von einem Schuh wegsprang. Ich drehte mich blitzschnell
um und schwang meine improvisierte Waffe. Das Metall klirrte, und mein Arm fühlte
sich vor Schmerz wie gelähmt an. Mit meinem Armiereisen fing ich den Schlag
eines anderen Stabes ab, mit dem der Schakal,
kaum sichtbar in der Dunkelheit, mit aller Kraft nach mir ausgeholt hatte.
Da ich vom Fechten mit Baumaterialien nichts verstand, trat ich der dunklen
Gestalt, die vor mir auftauchte, gegen das Schienbein. Der Schakal zischte vor Schmerz, und ich schlug daraufhin mit der
linken Faust auf seinen Kopf. Der Angreifer schwankte, verlor das Gleichgewicht
und gab mir ein paar kostbare Sekunden Zeit, um die Stange mit beiden Händen zu
ergreifen und sie auf seinen Kopf zu schlagen. Es ertönte ein schmatzendes
Geräusch, und der Schakal sank zu
Boden.
Ich hörte Schritte, die sich eilig entfernten. Die anderen hatten wohl
erkannt, dass ich keine leichte Beute sein würde, und zogen es vor, das
Schlachtfeld zu verlassen. Umso besser für mich. Ich sollte auch von hier
verschwinden. Was, wenn es hier noch andere Schmarotzer gab?
Ich hob den Stab auf und durchsuchte schnell die beiden Aasfresser. Der eine hatte eine
Wasserflasche bei sich, der andere eine Packung Universalrationen und einen
sorgfältig abgefeilten Metallstreifen, der zu einem handgefertigten Messer
verarbeitet worden war. Na, das war doch schon mal ein guter Anfang. Eine
Tasche wäre auch schön, damit ich nicht alles in meinen Hosentaschen tragen
müsste, aber man konnte nicht alles haben. Nicht alles auf einmal. Eine andere
Sache stand mir jetzt bevor.
Ich unterdrückte den Wunsch, zu kotzen, und zog dem größeren Aasfresser die Kleidung aus. Er brauchte
sie ohnehin nicht mehr, ich aber schon. Es war keine gute Idee in einem orangefarbenen
Gefangenenoverall herumzulaufen. Zugegeben, fast 90 % von uns hier waren
Gefangene, aber der Overall verriet einen als Neuankömmling, der nicht in der
Lage war, sich geeignetere Kleidung zu besorgen. Außerdem zog man die
Aufmerksamkeit auf sich, und es machte es einem unmöglich, im Gelände in
Deckung zu gehen.
Nachdem ich mich umgezogen hatte, beschloss ich, entgegengesetzt zur
Richtung der geflohenen Schakale weiterzugehen,
und machte mich auf den Weg durch die Nacht.
Kalt. Dunkel. Tödlich. Das wären die ersten drei Worte, die mir in den Sinn
kämen, wenn ich diesen Ort beschreiben sollte. Wie zur Bestätigung und
Begrüßung warf der feuchte Märzwind mir eine Handvoll eisigen Nieselregen ins
Gesicht.
Das Gehen war schwierig. Immer wieder stieß ich auf große Felsbrocken, und mehrmals
war der Weg durch Geröll versperrt. Dieser Teil der Stadt war am stärksten getroffen
worden. Mehrere Häuserblocks lagen in Schutt und Asche, und es war schwierig,
zwischen den Müllbergen und den Trümmern aus Kunststoffbeton nicht die Orientierung
zu verlieren. Trotzdem durfte ich nicht langsamer werden. Im Umkreis von ein
paar Kilometern hatte man die Landung der Kapsel sehen können, und ich war mir
sicher, dass viele gern ihr Glück versucht hätten, wenigstens eine Flasche
Wasser und eine Packung der im Starterkit enthaltenen Universalration zu ergattern.
Allmählich näherte ich mich den verschont gebliebenen Stadtteilen. Die
Trümmer wurden weniger, und bald tauchten in der Ferne die ersten Gebäude auf -
die üblichen neunstöckigen Wohnhäuser, typisch für alle entlegenen Kolonien.
Schnell, billig, bewohnbar. Was brauchte man mehr? Die Kolonisten -
größtenteils Bergleute, die Mineralien abbauten, oder Fabrikarbeiter, die diese
Mineralien verarbeiteten - waren nicht wählerisch. In den fünf Jahren, die ein
Standardvertrag dauerte, verdienten sie genug Geld, um die Zeit durchzustehen.
Zurück in der Metropole hauten sie dann alles auf den Kopf, um nach ein paar
Monaten, nachdem sie alles, was sie verdient hatten, verprasst hatten, in das
nächste Drecksloch zu gehen und dort für das Wohl der Erdföderation hart zu
arbeiten.
Ich selbst hatte mich einmal von der Anzahl der Nullen im Vertrag blenden
lassen und war der Armee beigetreten. Wer hätte schon ahnen können, dass ein Jahr
später der Krieg der Kolonien ausbrechen und wiederum ein paar Monate später
eine Xenos-Flotte aus dem Nichts in unseren Raum einfallen würde, sodass ich um
mein Leben hatte kämpfen müssen, anstatt nur auf abgelegenen Außenposten
herumzuhängen? Zugegeben, zumindest waren meine Überlebenschancen jetzt höher:
intensives Training, ein Handfeuerwaffensystem und die Sturmpanzerung waren
gute Voraussetzungen, wenn man es mit Rebellen und Aliens zu tun hatte.
Bergleute und andere Arbeiter hatten keine solchen Boni. Diese Vorteile wurden
allerdings dadurch ausgeglichen, dass wir dafür diese Workaholics unter den
Angriffsschlägen der Xenos retten mussten. Während sie nur einen Angriff überleben
mussten, bis sie evakuiert wurden, riskierten die planetaren Landetruppen jeden
Tag ihr Leben.
Ja, es war schwer zu glauben. Noch vor zwei Monaten war ich der Kommandant
einer Sturmtruppe gewesen. Jetzt war ich Gefangener Nr. 33286AN, der das
Sperrgebiet als Alternative zum elektrischen Stuhl gewählt hatte. Das Leben konnte
launisch sein.
Inzwischen hatte ich ein stark beschädigtes, aber noch stehendes Wohngebiet
erreicht, in dem die Trümmer weggeräumt worden waren. Hier musste ich dreimal
so vorsichtig sein. Man wusste nie, wer sich in der Dunkelheit versteckte. Sie
konnten mich schon vor langer Zeit entdeckt haben, mir jetzt folgen und auf
eine Gelegenheit zum Angriff warten. Es mochte Paranoia sein, aber im
Sperrgebiet war Paranoia keine psychische Störung, sondern eine unverzichtbare
Eigenschaft, die das Überleben sicherte.
Ich hockte mich hin, versteckt hinter dem Skelett eines Fahrzeugs, das am
Straßenrand seine ewige Ruhe gefunden hatte, lauschte und spähte angestrengt in
die Dunkelheit. Nachdem sie ihre Beute verloren hatten, hätten Aasfresser unweigerlich angefangen, hektisch
zu werden, und sich schließlich verraten. Höchstwahrscheinlich war niemand in
der Nähe. Gut so.
In der Ferne war eine Grube zu sehen, die als Fundament für ein neues
Gebäude ausgehoben und danach verlassen worden war. Daneben sah ich einen Baucontainer
und beschloss, ihn zu meinem ersten Rastplatz zu machen. Ich musste mich
hinsetzen, verschnaufen und darüber nachdenken, was ich als Nächstes tun
sollte. Mich aufzuwärmen würde auch nicht schaden. Der feuchte Wind blies durch
die ausgefranste Lederjacke und den zerrissenen Pullover, die ich dem toten Aasfresser abgenommen hatte. Wenigstens
würden die Wände des Baucontainers mich vor der Kälte schützen.
Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, bewegte ich mich auf mein Ziel zu,
wobei ich im Schatten blieb.
Die Containertür knarrte verräterisch, und ich erstarrte. Stille. Wäre mir jemand
gefolgt, hätten sie mich jetzt schon angegriffen.
Ich schlüpfte hinein, setzte mich auf einen durchgesessenen Stuhl und öffnete
mein Interface.
Spieler Nr. 7892 eliminiert. Sie
erhalten 500 XP.
Errungenschaft „Erstes Blut“ erhalten.
Spieler Nr. 7895 eliminiert. Sie
erhalten 500 XP.
Glückwunsch! Sie haben ein neues Level erreicht.
Aktuelles Level: 1
Punkte bis zum nächsten Level: 2.000 XP
Achtung! Sie haben eine Spende von Nutzer
Firestone erhalten. Es wurden 300 Credits auf Ihr Konto gutgeschrieben. Nutzerkommentar:
„Genialer Start!“
Wir möchten Sie daran erinnern, dass
von Nutzern erhaltene Credits für Upgrades und zusätzliche Ressourcen ausgegeben
werden können. Begeistern Sie weiterhin die Zuschauer, um zusätzliche Spenden
zu erhalten.
Achtung! Primärinitialisierung
verfügbar. Führen Sie die Initialisierung durch, um die Fähigkeiten der Spieloberfläche
zu erschließen.
Ich blinzelte das Menü zur Seite
und stieß einen Fluch aus. „Genialer Start!“ Von wegen! Schlimmer hätte es
nicht laufen können. Ich hatte weniger als eine Stunde im Sperrgebiet verbracht,
und es waren schon zwei Leichen zu beklagen. Obwohl ich mich deswegen nicht
allzu schlecht fühlen sollte - die Bastarde hatten es verdient. Nach ihren
Seriennummern zu urteilen, waren sie zusammen auf dem Planeten gelandet,
möglicherweise als Teil einer Gruppe. Es war nicht schwer, zu erraten, was mit
den anderen passiert war. Höchstwahrscheinlich gehörte der dritte, der entkommen
war, zur selben Gruppe. Ich wusste, wie diese Drecksäcke ihre ersten Level
freigeschaltet hatten. Sie waren mir egal, aber es würde noch schlimmer werden.
Nicht jeder im Sperrgebiet war Abschaum, der es verdient hatte, zu sterben.
Viele hatte es durch Zwang der Umstände hierher verschlagen. Mich, zum
Beispiel. Aber wenn ich hier überleben wollte, musste ich das vergessen. Für
mich waren sie nur namenlose Spieler, die alle das einzige Ziel hatten, mich zu
töten, um Extrapunkte und Geld zu verdienen. Die Hauptsache war, mich selbst
davon zu überzeugen, und dann würde es mir vielleicht gelingen, es so zu sehen.
Ich rief erneut das Interface auf, aktivierte den Link und betrachtete das
Menü, das sich vor mir ausrollte.
Subjekt: Nr. 33286AN
Codename: keiner
Status: Gefangener. Wurde im Rahmen des
Strafersatzprogramms in das Sperrgebiet geschickt. Erlass der Regierung der
Erdföderation Nr. 43897, Änderung Nr. 4 vom 31.2.2385.
Urteil: lebenslange Haft. Entscheidung
des Obersten Gerichts der Erdföderation Nr. 876456 vom 12.3.2387.
Versicherung: nicht vorhanden
Rasse: Terraner
Level: 1
Fähigkeiten des Subjekts:
Stärke: 8. Überdurchschnittlich.
Ausdauer: 10. Überdurchschnittlich.
Beweglichkeit: 10.
Überdurchschnittlich.
Wahrnehmung: Unzureichende Daten.
Genauigkeit: Unzureichende Daten.
Kampfeffizienz: Unzureichende Daten.
Rüstung: 1 (minderwertige
Oberbekleidung)
Die Werte werden auf der Grundlage der
Analyse der physischen Zustandsparameter des Probanden und deren Vergleich mit
den durchschnittlichen Parametern anderer Spieler in der Grauen Zone berechnet.
Die Werte können sich mit der Installation von Implantaten und Augmentierungen,
der Verwendung von Rüstungen und Ausrüstungsgegenständen sowie dem Wechsel in
andere Zonen des Sperrgebiets ändern.
Spezialisierung: keine
Primärinitialisierung abgeschlossen. Um
Zugriff auf andere Schnittstellenfunktionen, den Speicher und spezialisierte
Anwendungen zu erhalten, erreichen Sie Level 5 und schließen die
Initialisierung des Basisimplantats ab.
Hm, „überdurchschnittlich“. Nun, das war besser als
nichts. Die Hauptsache war jetzt, diese „überdurchschnittlichen“ Parameter
richtig zu nutzen. Es war auch wichtig, nicht an einem Ort zu verweilen. Wenn
man hier am Leben bleiben wollte, musste man ständig in Bewegung bleiben. Wenn man
sich schon verstecken musste, sollte man besser machen, als ich es gerade getan
hatte. Ich musste weiter. Zuvor sollte ich aber noch den Container durchsuchen.
Was, wenn es hier etwas Nützliches gab?
Ich minimierte das Menü, nahm einen Schluck Wasser aus
der Flasche, platzierte den Armierstab so, dass er leicht zu erreichen war, und
sah mich um.
2.Kapitel
Erdföderation, Orionsystem
Planet Rhapsodie, Sektor 3 der grauen
Zone des Sperrgebiets. Einstufung: Bedingt sicher
Abwurfzone.
DER BAUCONTAINER war wie leergefegt. Ich konnte kein einziges Werkzeug noch
sonst etwas finden. Kein Wunder. Dieser Sektor wurde als Abwurfzone genutzt.
Alles war schon vor langer Zeit ausgeräumt worden, entweder von den Bewohnern
selbst oder von anderen Gefangenen, die vor mir hier gelandet waren. Alles war
durchwühlt und geplündert worden. Es machte den Eindruck, als wäre sogar der
Staub fortgetragen worden. Vermutlich lebten die Bewohner der Ruinen nur davon,
was die sogenannten Humanitären - Drohnen, die Behälter mit Wasser und
Nahrung trugen - für sie abwarfen. Allerdings taten sie das nicht aus
Nächstenliebe, wie man meinen könnte, sondern nur, um die Show spektakulärer zu
gestalten. Aus dem gleichen Grund wählte man für meinesgleichen auch keine
Sektoren mit Gefahrenstufe Rot oder Orange.
Die NewVision Corporation, die die Übertragungen von Rhapsodie
verkaufte, wusste, wie man Sendungen produzierte, und die Regierung der
Föderation, die vom Krieg erschöpft war und sich nur mühsam davon erholte, tat
alles, um sie zufriedenzustellen. Allein der Corporation war es zu verdanken,
dass der Planet, dessen Säuberung und Wiederaufbau Milliarden von Credits
gekostet hätte, nicht nur keinen Verlust brachte, sondern in gewissem Maße
profitabel war.
Neben der Pacht, die NewVision an die Staatskasse zahlte,
musste die Föderation nicht für die Versorgung von Zehntausenden von Gefangenen
sorgen, die auf eigene Faust und für Peanuts Sektoren der Gefahrenstufe Rot und
Orange, Ruinen und Ödland räumten, die immer noch voller feindlicher
Xenos-Mechanismen und wahnsinniger, autonomer terranischer Kampfmaschinen war,
die sich nicht aus der Ferne deaktivieren ließen.
In 50 Jahren, nach Ablauf des Pachtvertrages, würde die Föderation
einen sicheren Planeten erhalten, auf dem wieder Mineralien abgebaut werden konnten.
Dass sie es dann mit Zehntausenden von Gefangenen zu tun haben würde, die sich an
die Abwesenheit von Recht und Gesetz gewöhnt hatten, brutal waren und nach dem Recht
des Stärkeren lebten, kümmerte die Erdregierung jetzt nicht. Sie hatten eine
Menge zu tun. Und in gewisser Weise verstand ich sie.
In Ordnung, hier war nichts zu holen. Ich musste tiefer in den Sektor hineingehen.
Dort war es wahrscheinlicher, dass ich auf etwas Nützliches stieß und weniger
wahrscheinlich, dass ich auf jemanden träfe, der entlang der Abwurfzone kreuzte
und Neuankömmlinge jagte. Selbst Schakale waren nicht so furchterregend,
wenn sie einen nicht unerwartet angriffen. Ein gezielt an den Kopf geworfener Stein
tötete genauso gut wie eine Schuss- oder Energiewaffe. Für mich machte das
keinen Unterschied. Ich musste mir einen Unterschlupf suchen. Heldentaten würden
mir in der ersten Nacht nichts nützen. Keiner würde es zu schätzen wissen.
Außerdem lief ich Gefahr, ohne einen Plan und ein klares Verständnis
der Situation zu sterben, bevor ich das zweite Level erreicht hatte. Ich konnte
von Glück sagen, dass ich gleich am Anfang auf kleine Fische getroffen war. In
der Zukunft würde ich es mit auf stärkeren Gegner zu tun haben, aber daran war
nichts ändern. Ich saß hier für den Rest meines Lebens fest - oder bis zum Ende
des Pachtvertrags für den Planeten. Mir blieb keine Wahl: Ich musste mich
anpassen.
Ich schaute mich um. Vor mir lag ein Parkplatz, der mit verrosteten und
einigen ausgebrannten Rümpfen von Mobilen übersät. Auf der rechten Seite befand
sich ein zweistöckiges Café mit einer Holzterrasse, die ebenfalls vom Feuer
nicht verschont geblieben war. Hinter dem Café ragten neunstöckige Wohnhäuser
empor. Ich trat zurück, schaute genauer hin ... und schloss diese Richtung aus.
Alles sah dort viel zu einladend aus: Es gab viele Verstecke, der Hof war
voller Mobile, und die Häuser standen rechtwinklig zueinander, so dass nur ein
Spalt dazwischen blieb – gerade groß genug, dass ein Mensch hindurchschlüpfen konnte.
Eine Flasche, deren Inhalt noch intakt war, lag an prominenter Stelle. Ausgeschlossen.
Da würde ich nicht hingehen. Der Ort war zu praktisch für einen Überfall. Die
Flasche verstärkte nur meinen Verdacht. Auf keinen Fall würden die Ressourcen
einfach so auf dem Boden herumliegen. Nicht hier. Ich würde die andere Richtung
nehmen, das war sicherer. Sie mussten warten, bis andere Idioten darauf hereinfielen.
Auf der gegenüberliegenden Seite machte die Straße eine Kurve und verlief
in einer geraden Linie etwa 250 Meter bergab. Rechts befand sich ein Parkplatz
für Mobile, zur Linken ein hoher Zaun. Es war zu dunkel, um zu sehen, was danach
kam. Vielleicht war es eine Sackgasse und am Ende der Straße wartete ein
Hinterhalt auf mich. Vielleicht aber auch nicht. Ich würde es erst wissen, wenn
ich dort ankam. Bei aller Unahnsehnlichkeit schien mir dieser Weg verlockender.
Was bedeutete, dass meine Intuition erwacht war. Ich neigte dazu, meiner
Intuition zu vertrauen, sie hatte mich schon mehr als einmal gerettet.
Ich rückte den Kragen meiner Jacke zurecht und ging die Straße entlang,
immer im Schatten des Zauns.
Es war unmöglich, beim Gehen keine Geräusche zu verursachen. Die Straße
war mit Schlamm und Pfützen bedeckt, die jedes Mal ein hörbares Platschen
erzeugten, wenn ich hineintrat. Glücklicherweise wurde das Geräusch erfolgreich
durch den feuchten Wind gedämpft, der heulte und mir etwas ins Gesicht
schleuderte, das sich wie Regen oder Graupel anfühlte. Das perfekte Wetter für
einen Ort wie diesen. Kalt, feucht, düster, schmutzig.
Ich ertappte mich dabei, dass ich wehmütig an meine Lieblingsjacke aus
dem guten alten Leben dachte. Auch wenn ich damit sofort zum Jagdobjekt all
derer geworden wäre, die darauf brannten, so ein praktisches Kleidungsstück zu
ergattern. Ich hatte es hier mit Menschen zu tun, die bereit waren, mich für
eine virtuelle Erfahrung zu töten. Was ich anhatte, kümmerte sie zunächst wenig.
Wenn sie allerdings sahen, dass ich eine TriDex-Jacke trug - wasserdicht,
besonders strapazierfähig und gleichzeitig atmungsaktiv und beheizt - würde
jeder Bewohner des Sperrgebiets mich vorsichtig töten, um das Ding nicht zu
verderben oder zu viel Blut darauf zu spritzen. In normaler Kleidung würden sie
mich umbringen, ohne viel darüber nachzudenken. Das war der einzige
Unterschied. Aber was spielte das jetzt für eine Rolle? Die Jacke war im
Schrank geblieben, in dem Haus, das jetzt an die Föderation gehen würde, und
ich war hier, auf Rhapsodie, planschte durch die Pfützen in der Kleidung, die
ich dem getöteten Schakal abgenommen hatte.
Die Straße vor mir machte eine Kurve nach rechts und führte fast im
rechten Winkel tief in das Wohngebiet hinein. Vor mir lag ein kleiner
Vorgarten, durch den ein Pfad verlief. Soweit ich von hier aus sehen konnte, führte
der Pfad zu einem Fußweg, der zwischen den Gebäuden entlanglief. Auf der linken
Seite befand sich ein neunstöckiges Wohnhaus, das sich entlang des Weges in die
Dunkelheit erstreckte, auf der rechten Seite säumten weitere Häuser den Weg.
Ich schlich mich durch den Vorgarten und versteckte mich hinter einem rostigen Verkaufscontainer.
Ich starrte angestrengt in die Dunkelheit, bis meine Augen schmerzten. Alles
sah sicher aus. Doch der Eindruck täuschte.
Wie um meinen Verdacht zu bestätigen, ertönte irgendwo in der Ferne das
wütende Knattern eines Pulsgewehrs. In der ohrenbetäubenden Stille, die nur
durch das Heulen des Windes unterbrochen wurde, waren die Schüsse sehr laut und
deutlich zu hören. Ein durchdringender Schrei zerriss die Nacht und verstummte
schnell. Es hörte sich an, als wäre jemand getötet worden. Das war nicht
verwunderlich, hier wurden jede Minute Menschen getötet. Manche einfach so -
wie der hier, dessen Mörder riskierten, dass ihre Erfahrungspunkte reduziert
wurden oder sie auf der Most Wanted-Liste landeten, weil sie Energiewaffen in
der Grauen Zone benutzten. Und manche - wie die Schakale, die ich zuvor
am Start getötet hatte - lautlos und schnell, ohne Lärm zu verursachen. Nach
den Regeln. Um ehrlich zu sein, bevorzugte ich die zweite Option. Wenn man das
über das Töten überhaupt sagen konnte.
Ich hörte Rufe und Schritte irgendwo auf der anderen Seite. Sie kamen
näher. In Ordnung, das war genug Abenteuer für die erste Nacht. Ich musste
einen Platz zum Ausruhen finden und dann auf das Tageslicht warten, um mich
vorsichtig umzusehen und mir einen Plan auszudenken. Ich hatte etwas zu essen
und Wasser. Aber wo könnte ein geeignetes Versteck sein?
Es wäre ideal gewesen, eine der Wohnungen zu belegen. Die Gebäude waren
groß, und es gab eine Menge Wohnungen. Wenn ich mich schlau anstellte, konnte
ich eine in ein relativ sicheres Versteck verwandeln. Niemand würde ohne Grund
Wohnung für Wohnung durchkämmen. Ich durfte nur keine Aufmerksamkeit erregen.
Zugegeben, dieser Plan hatte ein paar Haken. Der erste war der
Gebäudeeingang. Er war zu leicht zu überwachen, und es war schwer, sich
unbemerkt zu bewegen. Wenn ich dort auf jemanden traf, war es ungewiss, was
dann passierte. Außerdem war er leicht zu blockieren.
Der zweite Punkt waren die Wohnungstüren. Wie sollte ich da ohne
Schlüssel oder Werkzeuge reinkommen? Stahltüren konnte ich auf keinen Fall mit
bloßen Händen öffnen, und auf eine unverschlossene Tür zu hoffen, war naiv.
Wenn die Tür offen wären, bedeutete das, dass jemand drinnen wäre oder bald zurückkäme.
Ich musste die Sache anders angehen. Und ich wusste auch schon, wie.
Direkt vor mir, im ersten Stock des Wohnhauses, befand sich ein
Geschäft, das längst geplündert worden war. Aber ich war nicht an dem Laden interessiert
oder daran, was man darin möglicherweise finden konnte. Mich interessierte
vielmehr der Dachüberstand, von dem aus ich leicht den Balkon im zweiten Stock
erreichen konnte. Der Balkon war durch ein starkes Gitter und eine Isolierverglasung
aus metallisiertem Polyplastikmaterial geschützt, aber es war nicht dieser
Balkon, den ich brauchte. Ich hatte einen im dritten Stock im Auge, der sich über
dem Balkon mit den Gittern befand und nicht verglast war. Wahrscheinlich war
die Wohnungstür auch eine Standardausführung und nicht schwer zu öffnen. Ich
könnte sie mit einem Tritt aushebeln und dann von innen verbarrikadieren. Okay,
das klang nach einem Plan. Und jetzt, da ich einen Plan hatte, konnte ich nicht
mehr nur rumsitzen. Ich musste meinen Arsch hochkriegen und handeln.
Ich spitzte die Ohren - alles schien ruhig. Keine Schüsse, kein Geschrei.
Scheiß drauf!
Ich verließ den Vorgarten, überquerte den Fußweg - schnell, aber
bemüht, kein Geräusch zu machen - und versteckte mich im Schatten des Ladens.
Ich kauerte mich hin, sah mich um und lauschte in die Nacht. Ich konnte einige
Geräusche hören, aber sie waren zu weit weg, um mich zu beunruhigen. Es konnte
losgehen!
Ich stand auf, sprang hoch, griff nach der Kante und zog mich auf den
Überstand des Ladens. Die erste Etappe war geschafft. Ich sicherte den Armierstab
hinter meinem Rücken, lief zwei kurze Schritte nach oben, stellte meinen Fuß
auf einen Mauervorsprung, sprang wieder hoch und griff nach dem Balkongeländer.
Verdammt, war das rutschig! Ich keuchte und strampelte mit den Füßen, aber schließlich
fand ich Halt. Jetzt musste ich noch ein bisschen höher nach den Stangen
greifen und auf die Fensterbank klettern. Geschafft. Ich schob mich vorsichtig
nach rechts. Verflucht, die elende Fensterbank klapperte! Hier kam die Kante. Vorsichtig
bewegte ich mich auf den nächsten Balkon. Oh, dieser hier hatte horizontale Gitterstäbe,
toll! Jetzt war es ein Kinderspiel!
Ich kletterte höher, wobei ich mich an der Verkleidung des anvisierten Balkons
festkrallte. Ehrlich gesagt, waren die horizontalen Vorsprünge im Kunststoffbeton
nicht zum Klettern geeignet, aber ich brauchte sie bloß, um das Gleichgewicht
zu halten. Ich durfte nur nicht darüber nachdenken, was passieren könnte, wenn
ich aus dem dritten Stocks herunterfallen sollte. Es konnte gut gehen, oder es
konnte mit einem Bruch der Wirbelsäule enden. Oder es könnte ein Pfahl aus dem
Boden ragen ... Ich hatte doch „Nicht nachdenken!“ gesagt. Ein kurzer Ruck -
und ich hatte die Hand am Geländer des unverglasten Balkons. Jetzt die andere
Hand – hochziehen ... Geschafft!
Ich rollte mich über das Geländer und lag ein paar Sekunden auf dem
kalten Boden, um zur Besinnung zu kommen. Puh! Ich war nicht mehr geschmeidig
genug für diese Art der Akrobatik. Ich musste wieder in Form kommen, bevor es
zu spät war.
Keine Zeit zum Herumliegen! Aufgestanden!
Der Balkon war leer. Ich sah absolut nichts Brauchbares, außer einem
leeren Polyplastikeimer und einem schmutzigen Lappen. Wozu hätte ich diese
Gegenstände benutzen können? Mir fiel auf Anhieb nichts ein. Okay, was kam als
Nächstes? Ich schaute durch die Fenster, aber es war zu dunkel, um irgendetwas
zu erkennen. Verdammt. Nun, mir blieb keine andere Wahl. Ich musste hineingehen.
Wie ich gedacht hatte, war die Balkontür billig und morsch. Ich
lauschte und vergewisserte mich, dass ich keine Aufmerksamkeit erregt hatte, dann
stemmte ich mich mit der Schulter dagegen.
Die Tür flog auf. Schnell hielt ich sie mit der Hand fest, um zu
verhindern, dass sie gegen die Wand schlug, und trat hinein.
Aus der Dunkelheit heraus sprang jemand auf mich zu, stieß mich zu
Boden und schlug meinen Kopf gegen die Wand.
Verdammt noch mal!
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