Toter Schurke
Roman
von Pavel Kornev
Der Weg eines NPCs
Buch Nr. 1
Release - April 25
Pre-order - https://www.amazon.de/dp/B07N3YYSBW
In virtuellen
Welten herrscht grenzenlose Freiheit. Man kann sich nach Lust und Laune in
einen Elfenzauberer oder einen unsichtbaren Schurken verwandeln, sich einem
Clan anschließen und auf Raubzug gehen, kämpfen, den eigenen Charakter
weiterentwickeln und vor allen Dingen dem Alltagstrott entkommen.
Ein Spiel ist
allerdings nur dann ein Spiel, wenn man jederzeit aufhören kann. Das musste ich
am eigenen Leib erfahren. Eigentlich wollte ich mich in der virtuellen Realität
lediglich etwas ablenken, doch ich wurde ermordet und im Körper eines Untoten
gefangen — langsam, schwerfällig und dazu verdammt, wieder und wieder durch die
Hand anderer Spieler zu sterben.
Aus dieser
schrecklichen Lage gab es nur einen Ausweg: Ich musste die legendäre
Schriftrolle der Wiedergeburt zu finden. Doch das war nur möglich, wenn aus dem
hilflosen, pestverseuchten Leichnam eine echte Kampfmaschine wurde. Niemand
kann sich vorstellen, was man alles durchmacht, wenn man einen toten Schurken hochleveln
will …
Kapitel Eins. Eine pestverseuchte Leiche
1
DIE FUSSFESSEL WAR
ZWAR MIT hypoallergenem Kunststoff überzogen, aber dennoch juckte die Haut
darunter wie verrückt. Ich zog das Ortungsgerät so weit wie möglich vom Knöchel
weg, damit ich mich richtig kratzen konnte. Das Gerät reagierte mit Vibrieren
und Summen.
„Ganz ruhig, Genosse Major“, sagte ich schnell. „Im Westen
nichts Neues!“
In dem Ortungsgerät, das Straftäter unter Hausarrest
kontrollieren sollte, steckten so viele elektronische Module, darunter GPS,
GLONASS, Wi-Fi, GSM und sogar ein Höhenmesser, dass ganz sicher auch ein
einfaches Mikrofon darin zu finden war. Welchen Rang der für mich zuständige
Kontrollbeamte tatsächlich hatte, war dabei ziemlich egal — etwas Anteilnahme
zeigt oft große Wirkung. Zumindest hatte ich jemanden, mit dem ich reden konnte
…
Ich stand schon im zweiten Monat unter Hausarrest und
vermisste den normalen Kontakt zu anderen Menschen allmählich sehr. Schließlich
war ich kein abgebrühter Verbrecher oder Soziopath — ich war einfach zur
falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Genauer gesagt hatte ich einen Job am falschen Ort
gehabt.
Dabei hatte alles so gut angefangen! Mein Gehalt war
nicht schlecht, es gab eine Reihe von verlockenden Nebenleistungen und
hervorragende Aufstiegschancen. All das ging allerdings den Bach runter, als der
Geschäftsführer der Bank wegen Geldwäsche hinter Gittern landete! Mit den
illegalen Machenschaften hatte ich nie etwas zu tun gehabt, doch da der
Großteil der Zahlungen über meine Abteilung gelaufen war, konnte mein
Verteidiger nicht viel mehr für mich herausholen als das Zugeständnis, dass ich
unter Hausarrest gestellt wurde. Immerhin besser als Gefängnis.
Aha, wenn man vom Teufel sprach ...
Ich griff zu meinem summenden Smartphone, das nur Anrufe
von einer einzigen Nummer entgegennehmen konnte, und hielt es mir ans Ohr.
„Guten Abend, Jan!“, begrüßte ein heller Bariton mich.
„Hallo, Boris!“
„Jan, ich habe gute Nachrichten!“
„Im Ernst?“
In letzter Zeit hatte ich nur selten gute Nachrichten
gehört. Mein Leben glich vielmehr dem Gefühl, mit einem gewaltigen Hammer
bearbeitet zu werden.
„Wieso sollte ich lügen? Es gab heute Abend einen
Störfall im Datenzentrum, und angeblich sind die Aufzeichnungen zu einigen
besonders dubiosen Transaktionen deiner Abteilung verloren gegangen. Ich weiß
nicht, ob das stimmt oder nicht, aber die Staatsanwaltschaft ist endlich
bereit, sich auf einen Deal einzulassen. Wenn du Beweise gegen Kogan lieferst,
wirst du im Gegenzug als Zeuge eingestuft und nicht mehr als Angeklagter und
bekommst komplette Immunität vor Strafverfolgung.“
„Einverstanden!“, erwiderte ich ohne das leistete Zögern,
denn ich hatte nicht die geringste Absicht, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden
der Bank zu decken.
„Das habe ich mir gedacht!“, lachte Boris. „Den Deal
haben wir in der Tasche, aber jetzt darfst du auf keinen Fall Dummheiten
machen. Entspann dich. Hör Musik, sieh fern, steig in deine Gaming-Box ...“
„Ich dachte, ich darf das Internet nicht benutzen?“,
fragte ich überrascht und warf einen Blick auf die Virtual-Reality-Kapsel.
„Das ist ein ganz anderes System. Ich sage dir als dein
Anwalt: Das gilt nicht als Verstoß gegen deine Auflagen. Morgen wird kein
leichter Tag, deshalb würde ich dir dringend raten, beziehungsweise sogar
darauf bestehen, dass du dich entspannst und ausruhst. Die nächste Zeit wird
sicher sehr nervenaufreibend und wir müssen bis zum Ende stark bleiben.“
Der Anwalt legte auf, also warf ich das Smartphone aufs Sofa
und ging zu der Kapsel, die ich von der Bank als Prämie für einen meiner
Geschäftsabschlüsse bekommen hatte. Bislang hatte ich nie die Zeit für ein
längeres Virtual-Reality-Abenteuer gefunden, sondern hatte mich nur ein wenig
im Startbereich umgesehen, den erfahrene Spieler abschätzig als „Laufstall“
bezeichneten. Trotzdem war es mir immerhin gelungen, mit meinem Schurken Level
9 zu erreichen. Noch ein Level, dann könnte ich in die Hauptwelt.
Wieso also nicht?
Zumindest würde mich das ablenken und ein bisschen
entspannen…
DAS HAUPTMENÜ von
Türme der Macht empfing mich mit dem stummen Glanz einer Palasthalle. Mein
Schurke tauchte wenige Meter über dem Steinboden auf und landete geschickt ohne
das leiseste Geräusch. Ich war es, der sich von dort aufrichtete.
John
Shadow, Schurke. Level 9
Stärke:
9
Beweglichkeit:
14
Konstitution:
11
Intelligenz:
10
Wahrnehmung:
11
Gesundheit:
99
Ausdauer:
103
Energie:
94
Schaden:
6-10
Tarnung:
+9
Kritische
Schäden bei Angriffen im Tarn-Modus, Hinterhalten oder Angriffen auf ein
gelähmtes Ziel.
Manche Werte ließen sich im Zuge der Charakterentwicklung
auf Kosten anderer erhöhen, aber davon hielt ich nichts. Zehn Punkte galten als
Minimum und alles, was darunter lag, hatte erhebliche Einschränkungen zur Folge.
Reduzierte man die Wahrnehmung, wurde man ein halbblinder Maulwurf, der nicht
genau zielen konnte und nie im Leben einen kritischen Treffer landen würde, bei
reduzierter Intelligenz konnte man nicht einmal die simpelsten Schlösser
öffnen. Ein Schurke zeichnete sich nicht nur durch heimliche Angriffe aus,
sondern war ein sehr vielseitiger Charakter. Genau das, was man brauchte, wenn
man keine Freunde unter den Spielern und keinen Clan hatte.
Auf dem Boden leuchtete ein rotes Pentagramm. Ich trat
hinein und fiel durch die Steine auf das unebene Pflaster des Platzes, in
dessen Mitte der anmutige Turm der Macht in den Himmel aufragte.
Im Spiel war es später Abend. Über Old Gardens, der kleinen
Stadt für neue Spieler, senkte sich rasch die Nacht. Das war gut, denn ein
Schurke wie ich, dem es auf Tarnung ankam, konnte nichts besser gebrauchen als
Dunkelheit.
Ich rückte meinen schweren Waffengurt zurecht, an dem ein
Kurzschwert und ein Dolch hingen, und marschierte eine schmale Seitenstraße
hinunter, die vom Platz wegführte. Der Ausgangsort war nicht besonders groß — für
Neulinge interessant waren lediglich der Stadtpark mit seinen beiden Verliesen,
der sumpfige Fluss und die Katakomben unter dem Kloster. Man konnte einige Quests
für die Charaktere erledigen, die in der Stadt wohnten, doch für mich waren sie
im Augenblick nicht von Interesse. Ich wollte nur etwas abschalten.
Im Laufen rupfte ich ein hellgrünes Blatt von einem Baum
und zerrieb es zwischen den Fingern. Als ich daran schnupperte, stieg mir ein
extravaganter, angenehmer Duft in die Nase. Alles in diesem Spiel wirkte
vollkommen real, aber das überraschte mich nicht besonders — daran war ich
gewöhnt. Türme der Macht verwendete anders als die Konkurrenzprodukte wie Schwerter
& Feuer oder Distant Space eine patentierte Technologie, mit der die
Spieler Informationen über die virtuelle Welt erfassen und kleinere Details
selbst ergänzen konnten. Das Gehirn diente also im Prinzip als dedizierter Server,
der die Prozessleistung der Gaming-Hardware verstärkte.
War der Duft von den Erschaffern der Spiels programmiert
oder hatte ich ihn mir selbst ausgedacht?
Wer konnte das schon sagen?
Aber es spielte auch keine Rolle …
AUF DEM PLATZ vor
dem Kloster waren ungewöhnlich viele Menschen versammelt und ein Mönch mit
einem Stück Pergament in der Hand trat aus einer Gasse.
„Könnte der edle Herr den Stadtpark von dem Untoten
befreien?“, fragte er mich, während er mir eine Karte entgegenstreckte.
Möchtest
du die Quest „Boshafte Leiche“ annehmen?
[Ja
/Nein]
Ich willigte ein, nahm die Karte und sah mir die Ziele
genau an. Einfacher ging es kaum — ich musste lediglich die langsam
umherwankende Leiche beseitigen, die ich auch ohne spezielle Quest schon
häufiger in Stücke gehackt hatte.
Auf der Karte erschien ein grüner Punkt, der die Höhle
markierte, die ich aufsuchen sollte, und ich machte mich auf den Weg in den
Park. Der Mönch bat keine anderen Spieler um Hilfe, sondern kehrte zu meiner
großen Erleichterung zurück in die Gasse.
Eine persönliche Quest? Das war einfach großartig!
Mir fehlten nur noch wenige Erfahrungspunkte, um Level 10
zu erreichen. Also hieß es, den Zombie zu erledigen, und dann nichts wie raus
aus der Stadt, damit ich mich ausruhen konnte.
DER PARK WAR GROSS
und ungepflegt. Ringsherum verlief ein heruntergekommener Zaun, in dem magische
Kristalle mit gelbem Licht funkelten. Neben der Höhle mit dem einsamen Zombie
gab es irgendwo zwischen den Bäumen den Eingang zu einem viel größeren Verlies,
doch der Herrscher der Skelette, der tief darin hauste, konnte nur von einer
großen Spielergruppe besiegt werden. Dort wagte ich mich niemals hin, sondern
jagte lieber nur Füchse, Wölfe und gelegentlich einen Untoten.
Nachdem ich eine Steinbrücke über den ruhigen, kleinen
Fluss mit seinem sumpfigen Ufer überquert hatte, aktivierte ich den Tarn-Modus und
verschmolz mit den Schatten. Meine Energieanzeige bewegte sich sofort abwärts,
und ich war froh, dass ich Intelligenz und Wahrnehmung nicht reduziert hatte,
denn das hätte sich auf diesen Wert ausgewirkt.
Die Markierung auf der Karte führte direkt zu meinem
Ziel, sodass ich nicht über die dunklen Wege wandern musste. Ich bog nur ein
einziges Mal ab, als ich ein Kaninchen unter einem Baum entdeckte.
Dank meiner Tarnung konnte ich mich ganz dicht an das
Tier anschleichen. Ich durchbohrte ihm mit dem Schwert das Rückgrat und tötete
es mit dem ersten Angriff.
Kritischer
Treffer! Schaden: 20
Das
Kaninchen wurde getötet!
Erfahrung:
+5 [1658/1730]
Zu schade, dass das bei Wölfen längst nicht immer klappte
— Gehör und Geruchssinn waren bei diesen Raubtieren so gut, dass sie mich viel
zu früh bemerkten.
Ich wartete kurz, tauchte dann wieder in den Schatten ein
und bewegte mich durch das dichte Gebüsch unterhalb des Hügels auf das Verlies
zu. Vorsichtig betrat ich den leeren Eingang zur Höhle und machte mich im
schwachen Schein des Schimmels, der die Wände bedeckte, auf die Suche nach dem
Kadaver.
Hier roch es ... ziemlich schlecht. Der Gestank von totem
Fleisch und Verwesung stieg mir in die Nase.
In meiner Kehle regte sich ein unangenehmes Gefühl, doch
ich konnte die Übelkeit schnell unterdrücken und stieg vorsichtig weiter über
die menschlichen Knochen, die hier und da verstreut lagen. Ich durfte kein
Geräusch verursachen.
Die wandelnde Leiche befand sich in einer entlegenen Ecke
des Verlieses. Dick und aufgequollen stand sie neben einer versiegelten Kiste,
in abgerissenen Lumpen, die ihre pustelnübersäte Haut nicht verbergen konnten.
Erneute brach eine Welle fauligen Gestanks über mich
herein. Ich hielt den Atem an und schlich mit gezogenen Klingen in beiden
Händen um die Leiche herum. Der leuchtende Schleim an den Wänden gab nicht
genug Licht ab, doch meine Sinne waren so scharf, dass ich die weißen Knochen in
der Dunkelheit schimmern sah und ihnen ausweichen konnte.
Die Leiche nahm mich nicht wahr und ich griff sie
hinterrücks an, indem ich erst mit dem Schwert zustieß und direkt danach mit
dem Dolch.
Die
wandelnde Leiche wurde getötet!
Die
Quest „Boshafte Leiche“ ist abgeschlossen!
Erfahrung:
+350 [2008/2070]
Du
steigst ein Level auf!
Ich entschied mich gegen neue Fähigkeiten, sondern
erhöhte meine Beweglichkeit sowie meine Tarnung. Dann öffnete ich den hölzernen
Deckel der Kiste. Plötzlich schnappten die Schatten des Verlieses als stählerne
Fallen zu.
Schattenfallen:
Du bist gelähmt!
Erlittener
Schaden: 37 [73/110]
Ich versuchte, mich loszureißen, doch mein Körper
gehorchte mir nicht.
„Viele Grüße von Kogan!“, flüsterte es hinter mir.
Erlittener
Schaden: 37 [36/110]
„Du hättest den Mund halten sollen!“
Erlittener
Schaden: 37 [0/110]
Du
bist gestorben!
2
00:01:00...
00:00:59... 00:00:58..
DER TIMER ZÄHLTE
LANGSAM die Zeit, bis ich wieder ins Spiel zurückkehren konnte, doch innerlich
war ich vollkommen fassungslos. In meinem Kopf flatterten die Gedanken umher
wie aufgeregte Spatzen.
„Was zum Teufel?“, rief ich ins Leere.
Meinte Kogan, er könnte mir Angst einjagen, indem er
einen Charakter in einem virtuellen Spiel umbringen ließ? Was sollte dieser
Irrsinn?
Oder war das nur eine Warnung? Ein Hinweis auf das, was
mich in der Wirklichkeit erwartete?
Ich musste sofort meinen Anwalt anrufen!
Doch bevor ich ins Hauptmenü wechseln konnte, wurde ich
wieder ins Spiel geworfen.
ES WAR DUNKEL und
eng, und irgendetwas drohte, mir den Brustkorb zu zerquetschen.
Ich spannte die Muskeln an, versuchte, das Gewicht
wegzudrücken, und meine Hand glitt durch ein bröseliges Hindernis. Ich
versuchte, aufzustehen … und stellte fest, dass ich mich aus einem flachen Grab
in der mir bereits vertrauten Höhle erhob, die in den Schimmer der
schleimbedeckten Wände getaucht war.
Was ging denn hier ab? Wer im Startbereich starb, respawnte
am Turm der Macht!
Offenbar hielt ich etwas umklammert. Ich sah genauer hin
und schleuderte den Gegenstand von mir – es war ein menschlicher Schädel,
kunstvoll aus hellem Stein geschnitzt. Nachdem ich den Schädel weggeworfen
hatte, starrte ich fassungslos und angewidert meine Hand an. Meine dicken,
plumpen Wurstfinger waren mit Pusteln und violetten Leichenflecken übersät.
Nein! Das konnte einfach nicht wahr sein!
Niemand starb in einem Spiel!
Ich blickte an mir hinunter und stellte fest, dass ich
durch irgendeine Laune des Spiels im Körper einer wandelnden Leiche gefangen
war. Als ich erschrocken zurückwich, stolperte ich über einen Knochen unter
meinem Fuß und fiel hilflos zu Boden. Was zum Teufel war nur los?
Ich öffnete das Menü, starrte die ausgegrauten, inaktiven
Tabs an, bis mir auffiel, dass es auch keinen Button zum Beenden gab! War das
ein Fehler? Hatte man mich gehackt? Wurden die Spielserver gerade
durchgestartet? Ich musste die Admins kontaktieren!
Eine Möglichkeit zum In-Game-Chat oder zum Versenden von
Nachrichten war jedoch auch nicht mehr vorhanden.
Mich überkam schreckliche Panik, sodass ich meine
aufgequollenen Finger zusammenpressen und mich mit aller Kraft beruhigen
musste. Das war alles kein Problem! Alles kein Drama! Ich musste nur einen der
anderen Spieler um Hilfe bitten, und sie würden sich mit den Admins in Verbindung
setzen, um das Problem zu lösen.
Ganz simpel!
Irgendwie erhob ich mich vom Boden und wankte im
unbeholfenen Zombie-Gang durch die Höhle. In der Dunkelheit fand ich mich
einwandfrei zurecht, doch je näher ich dem hellen Licht am Ausgang des
Verlieses kam, desto stärker verschwamm alles vor meinen Augen.
War denn schon wieder Tag? Hmm ... das war komisch.
Ich schirmte die Augen mit der Hand ab und trat unter den
freien Himmel. Sofort fing meine Haut an, zu qualmen!
Helles
Sonnenlicht! Wahrnehmung um 75 % reduziert!
Erlittener
Schaden: 1 [22/23]
Ausdauer:
-3 [17/20]
Ein unerträglich heller Schein durchschnitt alles, was
mich umgab. Blindlings machte ich einen weiteren Schritt, in der Hoffnung, mich
in den Schatten der Bäume zu retten, doch sofort wurde ich wieder von der Sonne
getroffen. Verdammt! So weit würde ich niemals kommen!
Wieder stieg Panik in mir auf, ich musste also zurück zur
Höhle. Als ich dort angekommen war, beruhigte ich mich ein wenig.
Es würde schon alles in Ordnung kommen! Es gab nichts zu
befürchten. Früher oder später würde sich hier jemand blicken lassen. Dann
würden wir uns unterhalten.
Plötzlich fiel ein Schatten über das Sonnenlicht, das von
draußen in die Höhle schien — ich wandte mich um und nur deshalb tauchte der
Level-3-Schurke neben mir auf und nicht in meinem Rücken. Ein Kurzschwert
sauste auf mich zu, als ich den Angriff mit der linken Hand abwehrte und laut
„Stopp!“ rief.
Statt Worten kam aber nur ein unverständliches Knurren
aus meiner Kehle. Kurz darauf hieb die Klinge in mein Handgelenk und trennte
die Hand komplett ab. Sofort hing mein Arm nutzlos an mir herunter.
Erlittener
Schaden: 5 [16/23]
Linker
Arm verletzt!
„Warte kurz!“, heulte ich, doch offenbar hörte der
Schurke mich nicht.
Er hieb wieder auf mich ein. Ich ließ einen Angriff auf
meinen Brustkorb zu, schwenkte zur Seite und schlug mit der rechten Hand nach
ihm, doch ich konnte meinen wendigen Feind nicht einmal ansatzweise erwischen.
In Sekundenschnelle raste die Klinge nieder und fuhr mir durch den Schädel. Die
Schatten des Verlieses verschwammen zu undurchdringlicher Finsternis.
Du
wurdest getötet!
DUNKELHEIT. GEWICHT.
Das Rascheln herabfallender Erde.
Ich stieg aus dem Grab und schleuderte den Schädel, der
in meiner Hand auftauchte, erneut angewidert von mir. „Du Dreckskerl!“, rief
ich.
Doch aus meinem Mund ertönte nur ein kehliges Knurren,
deshalb schlug ich mit meiner aufgequollenen Faust vor Wut so fest gegen die
Wand, dass meine Eiterbeulen aufplatzten.
Was zum Teufel war das? Ich konnte doch wohl nicht
vergessen haben, wie man spricht!
Eine schreckliche Erkenntnis durchzuckte mich. Ich
öffnete das Menü, wählte „Charakterattribute“ aus und erstarrte vor Entsetzen,
denn plötzlich wurde mir klar: Alles, was mit mir passierte, war kein
zufälliger Fehler, sondern das Werk eines Hackers!
Wandelnde
Leiche, Untoter. Level 1.
Stärke:
18
Beweglichkeit:
3
Konstitution:
23
Intelligenz:
1
Wahrnehmung:
5
Gesundheit:
23
Ausdauer:
20
Energie:
3
Schaden:
1-4
Verdammt! Der Hacker, der mich von Kogan gegrüßt hatte,
hatte mir den Körper eines der Untoten verpasst, deren Intelligenz nur bei 1
lag! Dieser Zombie war nicht nur unterbelichtet, er war nicht mehr als ein Tier!
Die Entwickler rieten dringend davon ab, die Intelligenz unter 5 Punkte fallen
zu lassen, denn dann konnte ein Charakter nicht einmal Sprache verstehen. Mit
nur 1 Punkt würde ich mich also mit niemandem verständigen können!
Verdammt noch mal. Der Hacker hatte sich nicht damit
zufriedengegeben, mich im Spiel gefangen zu halten, sondern er verhinderte auch
jede Interaktion mit anderen Spielern! Wie lange kann ein Körper ohne Nahrung
und Wasser in einer Virtual-Reality-Kapsel liegen, bis er stirbt?
Zwei Tage? Drei Tage?
Normalerweise würde das Spiel dann von einer Timer abgeschaltet,
aber ich war mir sicher, dass mein Angreifer sich auch darum gekümmert hatte.
Der Störfall im Datenzentrum war also bestimmt kein
Unfall gewesen.
Alles war von langer Hand geplant! Sie zerstörten die
Beweismittel und schafften den Hauptzeugen aus dem Weg …
Ich knurrte und wankte zitternd und unbeholfen auf den
Ausgang aus dem Verlies zu. Die geringe Beweglichkeit machte mir sehr zu
schaffen, meine schreckliche Unbeholfenheit wurde auch durch die eher guten
Werte bei Stärke und Konstitution nicht wettgemacht.
Fest entschlossen trat ich aus der Höhle ins Freie.
Diesmal stach mir das Licht nur in den Augen, brannte aber nicht auf meiner
blasenübersäten Haut.
Gedämpftes
Sonnenlicht! Wahrnehmung um 50 % reduziert!
Ausdauer:
-2 [18/20]
Alles um mich herum verschwamm und wurde in einen
weißlichen Schleier getaucht, doch ich wankte unbeirrt weiter über die Lichtung
auf die Bäume zu. Ein Schritt, dann noch einer, während die Ausdauer-Anzeige
sich unaufhaltsam nach links bewegte. Noch ein Schritt, noch einer und dann
noch einer … Endlich konnte ich mich in den Schatten der Bäume retten, doch
dort erwartete mich eine neue Überraschung. Wie immer eine unangenehme.
Diffuses
Sonnenlicht! Wahrnehmung um 25 % reduziert!
Ausdauer:
-1 [3/20]
Mein Versuch, mich unter das breite Blätterdach einer
Eiche zu begeben, blieb erfolglos. Ich hatte erst die Hälfte der Strecke
geschafft, als die Sonne meine restliche Ausdauer verbrannt hatte, sodass ich
inmitten der Baumgruppe stehenblieb, als hätte man mir den Stecker gezogen.
Meine Ausdauer wurde zwar mit der Zeit wiederhergestellt, doch bevor ich
überhaupt einen Schritt tun konnte, reduzierte die Sonne sie wieder auf 0.
Musste ich wirklich warten, bis es dunkel wurde?
Die Zeit verrann! Wie lange war mein Körper bereits in
der Kapsel?
Plötzlich hörte ich ein Rascheln — auf dem Boden
entdeckte ich ein Kaninchen, das sich furchtlos in die Nähe des reglosen
Untoten gewagt hatte. Kaum hatte ich wieder einen einzigen Ausdauerpunkt,
packte ich das Tier, drückte es mir an die Brust und drehte ihm mit meinen
ungeschickten, aber kräftigen Fingern den Hals um. Das Kaninchen zitterte und
fiel in sich zusammen, bevor ich Knochen knacken hörte. In meinen Händen blieb
nur eine Fellhülle voller Knochen zurück.
Todesgriff!
Energie:
-3 [0/3]
Ausdauer:
+3 [3/20]
Das
Kaninchen wurde getötet!
Erfahrung:
+5 [5/100]
Ich verschwendete keine Zeit und wankte auf die Eiche zu,
stolperte über eine Wurzel, stürzte und kroch auf allen Vieren weiter, ohne
überhaupt zu versuchen, mich auf die Füße zu erheben. Im dichten Schatten wurde
meine Ausdauer nicht mehr weggebrannt, also kauerte ich mich unter den Baum und
versuchte, zu begreifen, was geschehen war.
Hatte ich Erfahrungspunkte gesammelt? War das bei NPCs
überhaupt möglich?
Ein Blick auf meine EP-Leiste bestätigte das. Ich
brauchte nur noch weitere 95 Erfahrungspunkte, um das nächste Level zu
erreichen. Damit könnte ich meine Intelligenz um eine Stufe erhöhen!
Also noch neunzehn Kaninchen? Nun, das war nicht
unmöglich. Mir blieb sowie nichts anderes übrig.
Ich erhob mich mühsam und stürzte fast wieder zu Boden,
weil sich mir ein Pfeil in die Schulter bohrte.
Erlittener
Schaden: 6 [17/23]
Als ich mich umdrehte, stand ich einem Level-5-Ranger gegenüber,
der eine grüne Jacke, enge Leggings und hohe Stiefel trug, hatte einen weiteren
Pfeil in der Brust und versuchte, mich mit den Armen zu schützen.
„Nicht schießen!“
Mein unverständlicher Klageruf zeigte keine Wirkung, der
Spieler hob schon wieder den Bogen. Weglaufen konnte ich nicht, deshalb bückte
ich mich und torkelte auf den Schützen zu. Ich erreichte ihn, drehte mich zur
Seite und versuchte, ihn mit der leeren Hand zu treffen, doch ich verfehlte ihn
und hob erneut den Arm. Wieder daneben. Der Ranger legte den Bogen weg und zog
seinen Dolch, kassierte einen Hieb ins Gesicht, ohne den einen, jämmerlichen
Schadenspunkt zu beachten, den ich ihm abzog, während er selbstsicher die
Klinge in mein eitergefülltes Auge stieß.
Kritischer
Treffer!
Du
wurdest getötet!
Dunkelheit, das Gewicht loser Erde und der Gestank des
Verlieses. In meiner Hand wieder der Schädel, der mir mittlerweile richtig auf
die Nerven ging. Ich schleuderte ihn mit aller Kraft an die Wand und heulte vor
Enttäuschung und Scham auf.
Das Pulsieren in meinem verletzten Auge erinnerte mich an
mein kürzliches Ableben, während mein ganzer Körper wehtat, als wäre er in
Stücke gerissen und ungeschickt wieder zusammengesetzt worden.
Tot zu sein war sehr unangenehm. Ich verspürte zwar keinen
Schmerz, wenn Klingen in meinen Körper eindrangen, doch jeder Tod kostete mich
wertvolle Zeit, deshalb wollte ich auf keinen Fall noch einmal sterben. Ich
würde mich nicht mehr mit Pfeilen durchbohren, in Stücke hacken oder mir den
Schädel mit einem Hammer einschlagen lassen.
Jetzt würde ich die Spieler jagen!
Ich öffnete die Beschreibung meines untoten Charakters,
stellte jedoch nur eine positive Eigenschaft fest, nämlich ein neutrales
Verhältnis zu anderen Untoten und Immunität gegen Todeszauber, Gift,
Verfluchung, Bluten und aus unerklärlichen Gründen gegen Bannflüche. Dagegen
zeigten leider auch Segen und Heilungen keine Wirkung. Mein Todesgriff würde
mir im Kampf gegen andere Spieler auch nicht helfen, da er keinen körperlichen
Schaden zufügte, sondern das Opfer nur Ausdauer kostete.
Waffen! Waffen brauchte ich dringender als das Leben
selbst! Mit bloßen Händen konnte man höchstens Kaninchen besiegen.
Hoffnungsvoll öffnete ich den Deckel der Kiste, fand
darin aber nur eine Handvoll Kupfermünzen. Ich suchte in der Höhle, doch auch
das blieb ohne Erfolg. Dann jedoch knackten ein paar Knochen unter meinen
Füßen, also hob ich eins der Stücke auf und traute meinen Augen kaum.
Scharfer
Knochen
Schaden:
1-2
Zusätzlicher
Schaden durch Leichengift: 3 Sekunden lang 1 pro Sekunde
Haltbarkeit:
2
Das war doch schon mal etwas. Obwohl ich das Knochenstück
mit meinen aufgequollenen Fingern kaum richtig packen konnte, gelang es mir
schließlich, mich zu bewaffnen. Dann ging ich auf den Ausgang zu, an dem die Spieler
eine Zeitlang stehenbleiben würden, um sich an das schwache Licht im Verlies zu
gewöhnen. Ich quetschte mich in eine kleine Nische und wartete reglos auf mein
erstes Opfer. Erstaunlicherweise war es nicht schwer, ganz still dazustehen,
obwohl die Gefühle in mir hochkochten.
Wie stand es um meinen echten Körper? Wie viel Zeit blieb
mir noch? Würde ich aus diesem verfluchten Spiel entkommen können oder hatte
der Hacker diese Option vollkommen deaktiviert? Und wo waren die anderen
Spieler, verdammt noch mal!
Wie als Antwort auf meinen stummen Fluch bemerkte ich
einen Schatten. Im Höhleneingang erschien ein unglaublich großer Priester in
einem langen, ärmellosen Kettenpanzer mit einem Morgenstern im Gürtel.
Level 6! Verdammt!
Allerdings zog ich mich nicht zurück, sondern wankte aus
der Nische und hieb ihm den Knochen so fest wie möglich in seinen dürren Hals.
Der Treffer war gut, so gut, dass ein dichter Blutstrahl aus der Wunde schoss.
Kritischer
Treffer! Schaden: 32
Der Priester schwankte, drehte sich um und ließ einen
weiteren Angriff zu — der Knochen schnitt ihm die Schläfe auf, was ihn weitere
acht Punkte Gesundheit kostete. Zu schade, dass ich nicht sein Auge getroffen
hatte!
Rund um den Charakter des Spielers erschien ein grelles
Licht, doch bevor der Priester seinen Zauber aussprechen konnte, zeigte das
Leichengift Wirkung. Der Heilzauber löste sich spurlos auf!
Ich zielte mit dem Knochen auf das Auge meines Gegners,
verfehlte es jedoch, während der verblüffte Spieler ein zweites Mal vergeblich
versuchte, seinen Priesterzauber einzusetzen. Das Gift störte seine
Konzentration und verursachte zusätzlichen Schaden.
Der Priester wollte den Rückzug antreten, deshalb packte
ich ihn mit der freien Hand, um ihm den Knochen fest in den Körper zu bohren, direkt
oberhalb dem Kragen des Kettenhemds. Zu meiner Überraschung gelang es mir
tatsächlich — die Ausweichfähigkeit meines Gegners war nicht besonders hoch.
Und offenbar hatte er es nie für nötig gehalten, seine Beweglichkeit zu erhöhen
...
Der nächste Hieb traf auf die Eisenringe des Kettenhemds,
der Knochen zersplitterte. Endlich kam der Priester zu sich und schwang seinen
Morgenstern. Sein erster Treffer kostete mich ein Viertel meines Lebens, dann
tauschten wir ein paar Schläge aus, doch Fäuste konnten gegen einen Morgenstern
nicht besonders viel ausrichten. Sofort sank meine Gesundheit in den roten
Bereich.
Glücklicherweise fügte das Leichengift meinem Gegner
weiter Schaden zu, sodass er in Panik geriet. Statt weiter auf mich
einzuschlagen, zog er ein Fläschchen mit Lebenselixier aus der Tasche. Ich
packte seine Hand, damit er seine Gesundheit nicht wiederherstellen konnte.
Nach einem kurzen Kampf konnte ich ihm ins Handgelenk beißen, doch sein
Lederärmel war so fest, dass meine Reißzähne einfach aus meinem verfaulten
Zahnfleisch fielen.
Das war jedoch egal. Ein kurzer Schauer durchlief den
Priester, er stürzte zu Boden, das Gift hatte ihn erledigt.
Spieler
Faroukh der Helle wurde getötet!
Erfahrung:
+120 [125/200]
Du
steigst ein Level auf!
Mich überkam die Euphorie, die ich immer verspürte, wenn
ich ein neues Level erreichte, und schnell öffnete ich das Menü mit den
Attributen meines Charakters. Ja! Ich konnte einen Punkt frei vergeben und das
Menü funktionierte!
Den schwer verdienten Punkt setzte ich auf Intelligenz,
meine weiteren Fähigkeiten musste ich nicht verändern. Der Todesgriff
verbesserte sich automatisch und raubte seinem Opfer jetzt doppelt so viel
Ausdauer.
Wandelnde
Leiche, Untoter. Level 2.
Stärke:
18
Beweglichkeit:
3
Konstitution:
23
Intelligenz:
2
Wahrnehmung:
5
Gesundheit:
46
Ausdauer:
41
Energie:
7
Schaden:
1-4
Natürlich war ich noch lange keine Kampfmaschine, aber
immerhin auch kein Punchingball mehr. Mein Gesundheitswert war für den
Laufstall gar nicht so schlecht. Außerdem wollte ich unbedingt eine
einigermaßen normale Waffe.
Zu meiner großen Enttäuschung konnte ich nur das
Fläschchen mit dem Heiltrank von dem getöteten Spieler mitnehmen. Ohne große
Hoffnung goss ich mir den Inhalt in den verkrusteten Mund, doch wie erwartet
tat sich nichts.
Interessant. Wie heilt man die Toten?
Ich warf das leere Fläschchen weg und kehrte in den
hinteren Teil der Höhle zurück, wo ich lange im Knochenhaufen herumsuchte.
Einen vergifteten Knochen konnte ich leider nicht finden, sondern musste mich mit
einem einfachen, spitzen Stück begnügen, das aber immerhin einen Schaden von 1
– 3 verursachte.
ALS ICH AUS dem
Verlies kam, wurde es im Park bereits dunkel, sodass sich meine Wahrnehmung
nicht reduzierte. Zwischen den Bäumen flossen dunkle Schatten zusammen, als ich
durch das Gebüsch auf einen der Wege abbog und auf das Tor zu stapfte. Mein
Wiedergänger setzte unbeholfen einen Fuß vor den anderen und schwankte von
einer Seite auf die andere, doch allmählich gewöhnte ich mich daran, wie sich
diese groteske Figur bewegte, und erreichte rasch den eisernen Zaun.
Ich weiß nicht, was ich mir davon versprach, aus dem Park
herauszukommen. Dachte ich, ich könnte das Spiel verlassen, in meinen eigenen
Körper zurückkehren, mit jemandem reden, und sei es nur ein NPC?
Nichts davon geschah. Ich erreichte nicht einmal das Tor.
Kaum kam ich in seine Nähe, erstrahlten die magischen Kristalle auf dem Zaun in
gleißend hellem Licht und stießen elektrische Blitze aus.
Eine Sekunde später war ich durchgegrillt …
DUNKELHEIT UND EIN
FLACHES GRAB, oberflächlich mit Erde bedeckt. Der nervige Schädel war wie immer
in meiner Hand.
Außer mir vor Wut wankte ich auf den Höhlenausgang zu und
schleuderte das steinerne Ding mit den gebleckten Zähnen ins Gebüsch.
Ich war es wirklich leid!
Der Knochen, den ich mir beim letzten Mal ausgesucht
hatte, befand sich noch in meinem Inventar, also musste ich nicht in der Höhle
nach einer Waffe suchen, sondern machte mich auf in den Wald. Mittlerweile war
es stockdunkel und der Wahrnehmungs-Bonus, den die Untoten in der Nacht hatten,
machte sich bemerkbar.
Mir fehlten nicht mehr besonders viele Erfahrungswerte,
um Level 3 zu erreichen, deshalb beschloss ich, Spielern aus dem Weg zu gehen
und lieber Tiere zu jagen. Ein Untoter konnte es leicht mit einem Fuchs
aufnehmen und sollte auch einen Wolf erledigen können. Ich hatte eine ganze
Menge Gesundheit, deshalb war es schade, dass der Mangel an Treffsicherheit
alles zunichtemachte.
Diesmal ging ich nicht auf den Zaun zu, sondern in die
andere Richtung, und gelangte zum sumpfigen Flussufer. Ein gewundener Pfad
führte mich zu einem Baumstamm, der über dem Gewässer lag, und
leichtsinnerweise versuchte ich, ihn zu überqueren. Allerdings war ich so
unbeholfen, dass ich schon mit dem zweiten Schritt im Wasser landete.
Der Fluss erwies sich als ungewöhnlich tief, die
Wasseroberfläche lag ein ganzes Stück über mir. Ich stellte mich schon darauf
ein, wieder zu sterben, als ich bemerkte, dass ich mich gar nicht unbehaglich
fühlte. Ach ja. Tote mussten ja nicht atmen!
Es dauerte eine Weile, bis ich mühsam wieder ans trockene
Ufer geklettert war, aber ich trug keine Verletzungen oder Wunden davon. Ich
war gefallen, aber egal, das spielte keine Rolle. Das sollte ich mir für später
merken. Vielleicht würde ich irgendwann einmal vor anderen Spielern davonlaufen?
Tja, falls ich tatsächlich ein Level von mehr als 10 erreichte, würden die
Anfänger vor mir davonlaufen!
Im Augenblick wollte ich dringend wissen, wie viel Zeit
mir noch blieb, bevor ich im echten Leben sterben musste. Wie lange saß ich
bereits in der Virtual-Reality-Kapsel?
Meine Stimmung war auf dem Nullpunkt, schlechter konnte
sie eigentlich nicht werden. Doch leider geht es immer noch schlimmer …
ALS VOR MIR AM FLUSS
ein Hügel auftauchte, bog ich ab und ging über eine sumpfige Wiese, auf der
Schlangen umher krochen und Blumen in der Nacht leuchteten, bis ich einen Ring
aus steinernen Menhiren erreichte, die in den Boden gegraben waren.
Plötzlich schoss neben mir ein Blitz hoch und ich
erstarrte. Meine Füße versanken langsam im weichen Boden, doch ich blieb reglos
stehen und verfluchte meine schlechte Wahrnehmung.
Was war da los? Verdammt, ich konnte nichts erkennen!
Noch ein Blitz, dann ein Heulen und ein Aufschrei!
Sobald der Lärm verebbt war und der sanfte Schein eines
Heilzaubers aus dem Steinkreis leuchtete, befreite ich mich aus dem klebrigen
Morast und schlug einen großen Bogen. Bald lag der Sumpf hinter mir und vor mir
war ein lückenhafter Zaun mit schiefen Pfosten zu sehen.
Ein verlassener Friedhof!
Wieder durchzuckte ein Kampfzauber die Dunkelheit, als
ein Paladin in Rüstung durch das Tor schritt. In einer Hand hielt er ein
Schild, in der anderen ein Langschwert. Level 10, das erkannte ich sofort,
während der Krieger einen der Grabsteine umtrat, sich umdrehte und vom Friedhof
flüchtete. Erdklumpen explodierten und flogen rings umher, als ein Ghul sich
aus dem Grab erhob, weil der Lärm ihn gestört hatte.
Die menschenähnliche Kreatur mit gefährlichem Gebiss und
scharfen Krallen jagte dem Eindringling hinterher, der ihre Ruhe gestört hatte,
doch der Paladin lief nicht weiter, sondern lauerte der Bestie außerhalb des
Friedhofs auf. Als ich das Tor erreichte, wehrte der Ritter die Angriffe des
Ghuls mühelos mit seinem Schild ab, während zwei Level-9-Bogenschützen vom Volk
der Elfen das untote Geschöpf in ein Nadelkissen verwandelten. Die Kreatur
schlug wild um sich und sprang hin und her, sodass sie den Spieler ab und an
mit den Krallen erwischte, dann musste ein Heiler mit grauem Umhang und spitzem
Hut die Gesundheit des Kriegers wiederherstellen.
Die Idee war sehr gut, aber ich hatte einen noch besseren
Plan.
Ich stieg durch ein Loch im Zaun auf den Friedhof und
machte mich daran, einen Grabstein nach dem anderen zu rütteln und umzustoßen.
Die Ghule, die daraus hervorkamen, fletschten zornig ihre schrecklichen Zähne
und suchten zwischen den Gräbern irritiert nach Beute, ohne meine wandelnde
Leiche in irgendeiner Weise zu beachteten.
Neutralität unter Untoten!
Ich hatte bereits zehn oder elf Grabsteine umgestoßen,
als der Paladin zurückkam. Sofort wollte er flüchten, doch es war zu spät — die
wilde Meute entdeckte den Menschen und rannte ihm hinterher. Ich konnte mit
ihnen nicht Schritt halten und als ich endlich zurück in den Steinkreis gewankt
kam, war bereits eine richtige Schlacht im Gange.
Die Bogenschützen, die keine Rüstung trugen, wurden im
Handumdrehen in Stücke gerissen, während der Paladin geschickt das Schwert
schwang und für sein Level erstaunliche Schäden anrichtete. Der Heiler
versorgte seinen Begleiter mit einem Heilzauber nach dem anderen.
Das eingespielte Team hatte gute Aussichten, die Schlacht
zu gewinnen, doch plötzlich raste ein Ghul, der sich aus der Meute gelöst
hatte, auf den Zauberer los. Ein einziger Hieb mit der Klauenhand kostete die
mickrige Gestalt die Hälfte ihrer Gesundheit, sodass sie den von Untoten
umringten Paladin nicht mehr unterstützen konnte.
Ein Kugelblitz aus dem Stab des Heilers traf einen Ghul
und grillte ihn auf der Stelle. Jetzt ging ich zum Angriff über — diese
Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Ein Schritt, zwei Schritte, Stich!
Der spitze Knochen glitt mühelos durch den Umhang des
Zauberers und bohrte sich tief in sein menschliches Fleisch. Der Getroffene
drehte sich um und wollte einen Zauberspruch rufen, also hieb ich ihm den
Knochen in den geöffneten Mund.
Kritischer
Treffer! Schaden: 28
Feind
überwältigt!
Waffe
zerstört!
Der Magier fiel auf den Boden, er drohte am eigenen Blut
zu ersticken. Ich beugte mich über ihn, um ihm den Rest zu geben, doch nun
zeigte der Paladin seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Er warf sein Schild zur
Seite, packte das Schwert mit beiden Händen, hob es hoch über den Kopf und ein
gleißender Blitz stürzte vom Himmel. Die Ghule wurden in alle Richtungen
geschleudert, ich selbst war gelähmt.
Himmelsschwert:
Verteidigung fehlgeschlagen!
Ausdauer:
0/41
Ich lag zusammengekrümmt auf dem Boden und konnte weder
Hände noch Füße bewegen, als der Paladin direkt auf mich zukam, ohne den Ghulen
Beachtung zu schenken. Der Spieler hatte in der Schlacht mit den Untoten schwer
gelitten, seine Rüstung war verbeult und blutbespritzt, sodass sich der Paladin
langsam und schwerfällig bewegte. Hinter dem Schlitz in seinem Helm loderte ein
dunkles Feuer. Der Kämpfer sammelte kurz seine Kraft, packte das Langschwert
wieder mit beiden Händen und hatte es bereits über den Kopf gehoben, als das
Icon mit der Fähigkeit Todesgriff vor meinen Augen erschien.
Der bewusstlose Zauberer war leichte Beute, seine
Ausdauer konnte ich leicht aus ihm heraussaugen. Meine Lähmung verschwand,
sodass ich aufstand und mit der Faust durch die Kehle des Magiers hieb.
Einen Augenblick später stürzte das Schwert herab, die
lange Klinge schlug mir auf der Stelle den Kopf ab. Vor meinen Augen drehte
sich alles, als mein Schädel über den Boden rollte!
Sofort umgab mich wieder die vertraute Dunkelheit.
3
DUNKELHEIT, LOCKERE
ERDE und Baumwurzeln. Baumwurzeln?
Ich kroch aus dem flachen Grab und stellte zu meiner
Überraschung fest, dass ich mich nicht in der Höhle, sondern im Gebüsch am
Rande der Wiese wiederfand, in das ich den nervigen Schädel geschleudert hatte.
Auch der Steinschädel lag wieder in meiner Hand.
Bestimmte er wirklich darüber, wo ich zum Leben erwachte? Über diese Frage
wollte ich jetzt nicht nachgrübeln, denn die Sonne ging bereits auf und meine
Haut fing im hellen Licht schon an zu dampfen. Ich musste im dichten Schatten
unter dem Blätterdach der Eiche Zuflucht suchen. Dort angekommen öffnete ich
den Game Log und stieß ein glückliches Knurren aus.
Du
steigst ein Level auf!
Ich hatte nicht nur Erfahrungspunkte für das Töten des
Heilers bekommen — auch für die Bogenschützen, die von den Ghulen zerfetzt
worden waren, gab mir das Spiel Erfahrung, als wäre ich der Anführer der Meute
gewesen. Dadurch sprang ich sofort von Level zwei auf fünf! Schnell investierte
ich die drei freien Attributpunkte in Intelligenz und bewunderte das Ergebnis.
Pestverseuchte
Leiche, Untoter. Level 5
Stärke:
18
Beweglichkeit:
3
Konstitution:
23
Intelligenz:
5
Wahrnehmung:
5
Gesundheit:
115
Ausdauer:
102
Energie:
25
Schaden:
1-4
Wow! Ich war keine Wandelnde Leiche mehr, sondern eine
Pestverseuchte Leiche, und mein Todesgriff kostete meine Opfer jetzt nicht nur
Ausdauer, sondern auch Lebenskraft! Außerdem war eine neue Fähigkeit namens
„Aura der Angst“ erschienen. Besonders stark verändert hatte sich jedoch mein
Aussehen. Mein Körper war nicht mehr aufgequollen, die nässenden Pusteln waren
abgetrocknet und stellenweise Leichenflecken gewichen. Bei Sonnenlicht
reduzierte sich meine Wahrnehmung nun um 5 % weniger, doch vor allem sahen
meine Finger nicht mehr wie zu lange gekochte Würstchen aus, sondern konnten
sich richtig biegen.
Ich war wirklich froh, dass ich von einer Wandelnden
Leiche zu einer Pestverseuchten Leiche aufgestiegen war, aber ich verspürte
auch allmählich Hunger. Das war nicht im Spiel — offensichtlich wollte mein
Gehirn mir mitteilen, dass mein echter Körper Nahrung brauchte.
Leider ließ sich da im Augenblick nichts machen. Oder
vielleicht doch? Mittlerweile reichte meine Intelligenz zum Sprechen aus.
Worauf wartete ich also?
Nachdem ich den geheimnisvollen Schädel zwischen den
Wurzeln der Eiche versteckt hatte, nahm ich den nächstgelegenen Pfad. Obwohl
ich mich sehr bemühte, im Schatten zu bleiben, damit die Sonnenstrahlen meine
Haut nicht verbrannten, verlor ich trotzdem einige Gesundheitspunkte und ein
Drittel meiner Ausdauer.
Ich hatte sogar die Idee, mir einen Umhang zu besorgen,
aber darüber dachte ich nicht weiter nach. Wenn es mir gelang, mit einem
Spieler zu sprechen, wäre das nicht mehr nötig.
Erstaunlicherweise stieß ich jedoch nicht auf andere
Spieler. Mir begegnete lediglich eine hübsche Elfe am Tor zum Park, deren grüne
Kleidung wie eine zweite Haut an ihrem wohlgeformten Körper lag.
Eladriel
Emeraldvine, Elfe. Druidin, Level 8
Ich streckte die Hände aus und stammelte rasch: „Ich will
dir nichts tun! Ich bin auch ein Spieler und brauche Hilfe!“
Nun war kein Heulen und kein unverständliches Stöhnen
mehr zu hören. Ich sagte genau das, was ich sagen wollte – doch leider in einer
unbekannten Sprache!
Kehlige Geräusche, kurze Sätze und fremde Sprachmelodie.
Wenn ich nicht tot gewesen wäre, hätten mir die Haare zu Berge gestanden.
Die Elfe reagierte sofort. Sie warf eine grüne Kugel nach
mir und packte mit beiden Händen ihren Kampfstab.
Wachsende
Dornen: Verteidigung fehlgeschlagen!
Erlittener
Schaden: 2... 4... 8...
Ein wild aussehender Kämpfer kam unverhofft von der Seite
angesprungen, hob seine Keule und rief der Elfe zu: „Überlass das mir! Geh
weg!“
Ich entschied mich gegen den aussichtslosen Kampf und
sprang ins Gebüsch, stürzte jedoch und wand mich nach zwei Schritten in
Krämpfen. Schmerzen verspürte ich nicht, doch in mir wuchs etwas Fremdartiges.
Meine Haut schwoll an und die stacheligen Triebe eines Dornbusches platzten
hervor.
Erlittener
Schaden: 64
Du
wurdest getötet!
Erde, harte Eichenwurzeln und Blätterrauschen über meinem
Kopf.
Diesmal respawnte ich im Wald, genau dort, wo ich den
Schädel versteckt hatte. Als ich aus dem Grab stieg, fielen mir mit Schaudern
die Dornen wieder ein, die meine Innereien durchbohrt hatten, und ich
beschloss, mir einen besseren Unterschlupf zu suchen. Zum Glück hatte der Wind
Wolken herbeigetrieben, der Himmel war bedeckt. Zuallererst fiel mir der
verlassene Friedhof ein, deshalb machte ich mich mit dem Schädel auf den Weg
dorthin. Die ganze Zeit über beschäftigte mich die Frage: „Was ist nur
schiefgegangen?“
Wieso redete ich nicht normal, sondern so ein
Kauderwelsch? Was war das für eine Sprache? Wieso sprach ich sie? An mangelnder
Intelligenz lag es eindeutig nicht.
LAUTE RUFE und das
Klirren von Stahl lenkten mich von meinen düsteren Gedanken ab. Vorsichtig
wagte ich mich an den Rand des Waldes und erkannte sofort, dass der verlassene
Friedhof als Unterschlupf nicht infrage kam. Ein halbes Dutzend Spieler war
dabei, ihn methodisch von Ghulen zu befreien, indem sie ein Grab nach dem
anderen untersuchten. Im Sonnenlicht waren die Untoten den Menschen nicht
gewachsen. Wieder und wieder ertönten ihre Schreie.
„Der gehört mir!“
„Rühr ihn nicht an!“
„Überlass ihn mir!“
„Verschwinde, Noob!“
Die Neulinge wetteiferten miteinander, riefen und
fluchten. Den einsamen Untoten im Gebüsch beachtete niemand. Ich zog mich
zurück, doch plötzlich erschien ein roter Punkt auf der Karte. Einer der
Spieler hatte ein Haustier und der kleine Köter rannte wild kläffend direkt auf
mich zu.
Im Wald konnte ich mich auf keinen Fall vor einem Hund
verstecken, also musste ich in den Sumpf flüchten. Schon bald verstummte das
Gebell, doch zu meiner Überraschung hatte ich den Fluss erreicht und musste nun
am Ufer entlanglaufen.
Das Sonnenlicht, das durch die Wolken fiel, zehrte meine
Ausdauer beunruhigend schnell auf. Ich hätte zwar untertauchen und im Wasser
auf den Einbruch der Dunkelheit warten können, aber ich wollte keine Zeit
verlieren. Als vor mir am Flussufer ein Hügel mit einer Art Ruine auf der Kuppe
auftauchte, machte ich mich sofort auf den Weg dorthin, um mich vor den
brennenden Strahlen zu schützen.
Ich schaffe es nur mit Mühe, den Abhang hochzusteigen.
Ich befürchtete schon, ich müsste dort liegen bleiben, doch nein, irgendwie
gelang es mir, mich in den Schatten einer verfallenen Mauer zu kauern. Dort saß
ich eine Weile und wartete, bis meine Ausdauer wieder so weit hergestellt war,
dass ich die Ruinen erkunden konnte.
In der Mauer auf der Flussseite befand sich ein
zerbrochenes Tor. Sobald ich hindurchtrat, gab eine Steinplatte unter meinem
Fuß nach, während ein unangenehmes metallisches Quietschen ertönte. „Eine
Falle!“, schoss mir durch den Kopf, als ein an Ketten aufgehängter Baumstamm
auf mich zugerast kam, gegen meine Brust prallte und mich den Hügel hinab
schleuderte. Auf der Stelle verlor ich die Hälfte meiner Gesundheit, stürzte
mit einem lauten Platschen ins Wasser und sank wie ein Stein zu Boden.
Ich kämpfte eine Weile gegen den Schlamm an, doch dann
beruhigte ich mich, kam wieder zu Kräften und kletterte ans Ufer, über und über
mit Unkraut und Schleim bedeckt. Ich traute meinen Augen nicht — der Fluss
hatte die Böschung weggespült und eine grob gemauerte Steinwand freigelegt.
Noch dazu befand sich in der Wand ein schwarzes Loch.
Knietief im Schlamm stieg ich durch die Rohrkolben und
betrat das angenehm düstere Verlies. Es war geräumig und leer, bis auf eine
stahlbeschlagene Kiste, an der ein großes Vorhängeschloss angebracht war. In
der Nähe befand sich eine Treppe, doch der Weg nach oben war durch eingestürzte
Mauern versperrt, während der untere Bereich vom Fluss überspült wurde, sodass
die schleimigen Stufen ins Wasser führten.
Neben der Treppe lag eine dunkle Nische mit einer
kleineren Holzkiste. Diese war nicht verschlossen, ich konnte sie sofort öffnen
und ein Dutzend Goldmünzen, einen nicht identifizierter Zauberarmreif, ein
verschlissenes Kettenhemd und ein rostiges Messer an mich nehmen, das 1-2 Schadenspunkte
zufügen konnte.
Das Kettenhemd hatte zahlreiche Löcher und bot keinen
besonders guten Schutz gegen Stiche oder stumpfe Waffen, aber ich legte es ohne
Zögern an. Immerhin eine Art Rüstung!
Als Nächstes versteckte ich den verzauberten Schädel in
einem Steinhaufen und machte mich mit dem Messer am Schloss der großen Kiste zu
schaffen, leider ohne Erfolg. Ich drehte noch eine Runde durch das Verlies,
konnte jedoch keine geheimen Gänge fingen und ging zurück zum Loch in der Wand.
Draußen fing es an zu regnen. Das schlechte Wetter wollte ich nutzen, um in den
Wald zu kommen.
Ich brauchte nicht mehr viel zusätzliche Erfahrung, um
das nächste Level zu erreichen, und je höher ich mit meiner pestverseuchten
Leiche aufstieg, desto besser waren meine Chance, zu überleben ... wenn ich
noch mal mit einem anderen Spieler sprach.
In der Nähe des Abhangs befand sich eine mit Rohrkolben
bewachsene Sandbank, über die ich den bereits vertrauten Sumpf erreichte. Dort
sicherte ich mir fünfzig Erfahrungspunkte, indem ich mit meinem neuen Messer
Schlangen aufschlitzte. Schon bald war die Karte mit zahlreichen roten Punkten
übersät, also musste ich vor den giftigen Kreaturen flüchten, die über mein
Eindringen sehr erbost waren. Schlangengift zeigte bei mir zwar keine Wirkung,
doch jeder Biss kostete mich 1 oder 2 Gesundheitspunkte, die sich im Gegensatz
zur Ausdauer nicht von selbst wiederherstellten.
Wie konnte ich mich nur heilen? Zur Hölle damit.
In einigem Abstand vom Friedhof ging ich tiefer in den
Wald und stieß fast sofort auf einen tollwütigen Fuchs. Das Raubtier sprang
mich an und verbiss sich in meinem Bein.
Ich fletschte die Zähne, packte den Fuchs im Nacken und
setzte den Todesgriff ein.
Energie:
-11 [14/25]
Gesundheit:
+11 [34/115]
Ausdauer:
+11 [102/102]
Jetzt war ich geheilt.
Ich investierte noch weitere elf Einheiten Energie,
tötete damit den Fuchs und ging weiter. Die Erfahrung, die ich dafür bekam,
reichte nicht aus, um Level 6 zu erreichen, aber auf meinem weiteren Weg
entdeckte ich keine kleinen Waldbewohner mehr, und um den Bären, den ich sah,
machte ich einen großen Bogen. Er hätte einen Untoten mit Leichtigkeit in
Stücke reißen können.
Der Regen wurde heftiger und es begann zu dämmern. Damit
wurden mir zwar keine Wahrnehmungspunkte mehr abgezogen, aber ich konnte auch nur
noch wenige Schritte weit sehen. Ich verließ den dichten Wald, bog auf einen
Pfad ab und stieß unverhofft auf einen Zauberer.
Der große, dünne und blasse Nekromant schickte sofort
einen Kampfzauber in meine Richtung, doch die Steinkugel zerbarst in geisterhafte
Scherben, ohne mir Schaden zuzufügen.
Untote
kommandieren: Immunität
„Stopp!“, rief ich, als der Level-9-Nekromant seinen Stab
hob, an dessen Spitze ein bedrohlicher Stahlhaken saß. „Warte!“
„Ein sprechender Untoter?“, fragte der Nekromant erstaunt,
senkte die Waffe jedoch nicht. „Was willst du, Kreatur?“
Der Nekromant und ich sprachen beide die seltsame kehlige
Sprache, konnten uns jedoch einwandfrei verständigen. Er verstand mich und ich
verstand ihn!
Was konnte ich sagen, um den Spieler nicht zu
verschrecken oder zum Angriff zu veranlassen? In meinem Kopf schwirrte alles
durcheinander und ich stieß das Erstbeste aus, das mir in den Sinn kam.
„Eine Quest!“
Sofort öffnete sich das Menü zum Erstellen von Quests.
Der Nekromant hielt den Stab hinter seinen Rücken und zeigte sich gnädig
bereit, mich anzuhören.
„Sprich, Kreatur!“
Ich verlor keine Zeit und bot die Höchstbelohnung, die
ich mir leisten konnte – zehn Goldstücke – dafür, dass er mir einen Umhang mit
Kapuze, Schuhe, eine Hose, Handschuhe und einen Morgenstern brachte. Ich hätte
auch 10 % meiner gesammelten Erfahrung übertragen können, aber das hielt ich
nicht für ratsam.
Zehn Gold waren für diesen Plunder mehr als großzügig.
Allerdings schien der Nekromant das anders zu sehen. Er
runzelte die Stirn und zögerte, bis ich einen der Schieber rasch zur Seite
bewegte und die Einzelquest in eine Serie von drei Aufgaben änderte.
Der Nekromant gab nach und machte eine abschätzige
Handbewegung.
„Du hast mich überzeugt, Toter. Warte hier.“
Garth
Deathblade hat deine Quest akzeptiert!
Der Zauberer verschwand, ich schloss die Systemnachricht
und versteckte mich im Gebüsch. Wenn ich auf dem Pfad auf den Nekromanten
gewartet hätte, wäre ich vielleicht auf andere Spieler gestoßen, und ich wollte
auf keinen Fall sterben und Garth nicht wiederfinden.
Ich war mir nicht sicher, ob mich auch andere verstehen
konnten, denn Nekromanten waren bei Spielern nicht besonders beliebt. Äußerst
unwahrscheinlich, dass ich so bald einen anderen Nekromanten treffen würde.
Deshalb erzählte ich ihm nicht sofort von meinem
traurigen Schicksal. In virtuellen Welten will man abschalten und nichts von
den Problemen anderer hören. Vielleicht hätte Garth dem Toten geglaubt und
seine Hilfe nicht verweigert, aber es war genauso gut möglich, dass er mich zum
Teufel schickte.
Eine Quest dagegen war etwas völlig anderes. Quests waren
heilig.
DER NEKROMANT KAM
ZURÜCK, als der Regen nachgelassen hatte und der Wind allmählich die Wolken von
der Stadt pustete. Nachdem er seine Belohnung bekommen hatte, legte ich sofort
den schwarzen Umhang aus grobem schwarzen Stoff an und zog mir die Kapuze über
den Kopf.
Meine Wahrnehmung war künftig nur noch um 10 % reduziert.
„Was jetzt?“, fragte Garth eilig, während er mich mit
roten Albino-Augen durchdringend anstarrte.
Das weiße Haar des Nekromanten flatterte im Wind und er
sah ziemlich unfreundlich aus.
Ich beschloss, seine Geduld nicht überzustrapazieren, und
legte die Ziele für die zweite Aufgabe fest.
Quest:
Eine Nachricht überbringen
Belohnung:
Hilfe im Spiel
„Hilfe?“, erwiderte Garth höhnisch. „Womit könntest du
mir schon helfen?“
„Untote kommandieren“, entgegnete ich und erläuterte:
„Wie viele Ghule kannst du gleichzeitig unter Kontrolle halten, Nekromant?“
Der Zauberer überlegte kurz. „Vier oder fünf. Wenn ich
mich um alle gleichzeitig kümmere. Wieso?“
„Ich werde fünf Ghule zusammentreiben. Mit dieser Unterstützung
kannst du jedes Verlies hier leerräumen.“
Der Nekromant schien zu zweifeln. Normalerweise wäre er
kaum in der Lage, einen einzigen Untoten zu steuern, also war mein Angebot
einigermaßen interessant.
„Was für eine Nachricht?“, fragte Garth schließlich. „Und
wem muss ich sie überbringen?“
„Es dauert nicht lange. Bist du einverstanden?“
Garth
Deathblade hat deine Aufgabe akzeptiert!
Garth
Deathblade ist vorübergehend dein Verbündeter.
Das stimmte — die Markierung, die die Position des Nekromanten
auf der Karte anzeigte, leuchtete grün.
„Also was ist die Nachricht?“, wiederholte er ungeduldig.
„Mach schon! Zeit ist Geld!“
In der virtuellen Realität war Zeit tatsächlich genauso
wertvoll wie Geld, also ritzte ich meine Nachricht sofort mit dem Messer in den
feuchten Boden. Zunächst schrieb ich die E-Mail-Adresse meines Anwalts auf und
fügte dann in englischer Sprache hinzu: „Ich bin im Spiel gefangen. Ich komme
nicht raus. Sag den Admins, dass das Programm gehackt wurde.“
„Was zum Teufel soll das?“, fluchte Garth, während er mir
zusah.
„Mach einen Screenshot“, verlangte ich, „und schick ihn
an diese E-Mail-Adresse.“
„Das gefällt mir nicht“, erwiderte der weißhaarige
Nekromant kopfschüttelnd. „Das ist eine Falle!“
„Schick einfach die Nachricht!“
„Dazu muss ich das Spiel verlassen!“
„Es muss nicht sofort sein“, räumte ich ein, weil ich den
Eindruck hatte, dass dieses unerfreuliche Zugeständnis nötig war.
„Naja, wenn es so ist … In Ordnung, ich mache es …“
beschloss Garth widerwillig. „Jetzt bring mich zu den Ghulen!“
„Komm mit, Nekromant...“
ZU MEINER GROSSEN
ERLEICHTERUNG war niemand auf dem verlassenen Friedhof, nur die Grillen, die im
Gras zirpten, und die Lerchen, die am klaren Himmel ihre Kreise zogen. Dampf
stieg von der feuchten Erde auf, doch obwohl es warm wurde, legte ich die
Kapuze nicht ab — der dicke Stoff schützte hervorragend vor der brennenden
Sonne. Selbst meine Ausdauer nahm nicht mehr ab und ich wurde mittlerweile nur
noch dadurch beeinträchtigt, dass sich meine Wahrnehmung um 60 %
verschlechterte.
„Warte hinter dem Tor auf mich, Nekromant“, verlangte
ich, als ich den Friedhof betrat und mit meinem Morgenstern auf die Grabsteine
hämmerte, um die Ghule zu wecken.
Die Bewohner des Friedhofs hatten sich noch nicht richtig
vom letzten Angriff erholt, deshalb musste ich mehrere Dutzend Gräber abgehen,
bis ich die erforderliche Anzahl an Untoten beisammenhatte.
„Alles ist bereit, Nekromant!“, rief ich dann.
Sobald der Nekromant im Tor erschien, gingen die
gefährlichen Monster zum Angriff über. Eine Knochenkugel flog ihnen entgegen
und sobald sie den ersten Ghul traf, explodierte der Zauber und zerplatzte in
ein halbes Dutzend Stücke. Auch ich wurde getroffen, sodass meine Sicht kurz
verschwamm, doch sofort waren meine Augen wiederhergestellt.
Untote
kommandieren: Immunität
Die Ghule dagegen waren nicht vor der Versklavung
geschützt und der Zauberer konnte sie allesamt beherrschen.
Moment. Der Nekromant hatte alle bis auf einen gefangen!
Die Bestie mit blau-schwarzer Haut brüllte wütend auf und sprang Garth an. Im
letzten Moment konnte er den Angriff auf seinen Kopf mit seinem Stab abwehren.
Eine Sekunde später war ich bei ihm und hieb mit meinem
Morgenstern auf den Ghul ein. Der Stachelball traf ihn mit der Wucht einer
Kanonenkugel im Rücken, sodass er sofort fünfzig Gesundheitspunkte einbüßte.
Meine Ausdauer reduzierte sich nur ganz leicht, ich packte den Griff mit beiden
Händen und hieb der Kreatur auf den Kopf, als sie sich zu mir umdrehte.
Daneben!
Der Ghul schlug mit seinen furchteinflößenden Krallen
nach mir, konnte das Kettenhemd aber nicht durchdringen. Ich schlug noch einmal
zu, jedoch ohne Erfolg. Schlimmer noch — die Krallen meines Gegners schlitzten
mir den Arm bis auf den Knochen auf. Zum Glück war der Schaden nicht schlimm
und meine Immunität schützte mich vor dem Leichengift.
Kurz darauf stieß Garth den Haken an seinem Stab in den
Ghul und riss ihn im wahrsten Sinne des Wortes in Stücke.
Garth
Deathblade hat den Alten Ghul getötet.
Erhaltene
Erfahrung: +55 [844/1000]
Du
steigst ein Level auf!
Level 6! Mit meinem Extrapunkt erhöhte ich meine
Beweglichkeit, während der Nekromant mich nachdenklich ansah.
„Die Erfahrung wird zwischen uns beiden aufgeteilt?“,
fragte er stirnrunzelnd, winkte dann jedoch ab und verließ den Friedhof. Vier
Ghule folgten ihm, wobei sie in der hellen Sonne leise winselten.
„Die Ghule werden nicht lange durchhalten!“, warnte ich
den Zauberer, als ich zu ihm aufgeschlossen hatte.
„Ich werde sie auch nicht lange behalten können!“,
erwiderte Garth verärgert und nahm einen Schluck Mana-Elixir, um die Energie
wiederherzustellen, die er für den Zauber verbraucht hatte. „Keine Sorge, sie
werden schon nicht verrotten. Das Skelettverlies ist ganz in der Nähe.“
Ein Skelettverlies? Nun, wenn die Erfahrungen so
eintrudeln, wieso nicht?
Auf dem Weg zur Höhle trafen wir mehrere andere Spieler.
Manche sahen Garth respektvoll an, andere eher misstrauisch. Mir schenkte
niemand Beachtung. Nur ein Untoter im Gefolge des Nekromanten, weiter nichts.
Am Eingang zum Verlies befand sich niemand — normalerweise
wagten sich die Spieler dort nur in Gruppen von zehn bis fünfzehn Personen
hinunter, da sich die unteren Ebenen sonst nicht erreichen ließen.
„Du gehst vor!“, befahl Garth.
Da die Untoten mir gegenüber neutral waren, hatte ich
nichts dagegen einzuwenden. Die Ghule waren von der Sonne ziemlich stark
verbrannt worden, deshalb brauchten sie Schutz.
„Wenn einer von uns stirbt, treffen wir uns auf dem
Friedhof!“, warnte der Zauberer.
„In Ordnung, Nekromant“, erwiderte ich, als ich vor ihm
die Stufen hinabstieg.
Die Dunkelheit wurde durch brennende Fackeln an den
Wänden gebannt, auf dem Boden lagen rissige Steinplatten. Am entlegenen Ende
des Korridors bewachte ein Skelett mit einem Speer den Eingang zur Halle.
Furchtlos ging ich direkt darauf zu und versuchte, ihm mit dem Morgenstern auf
den Schädel zu schlagen. Unverhofft ging mein Schlag daneben. Das Skelett
machte einen Schritt zurück und stach mit seinem Speer zu.
Verdammtes Ding!
Ich packte den Schaft, damit mein Gegner seine Waffe
nicht einsetzen konnte, und hieb ihm weiter auf den Kopf. Die meisten Attacken
gingen daneben, doch schließlich gelang es mir, ihm den Helm
herunterzuschlagen, als ein Ghul neben mir auftauchte und dem Skelett mit einem
Hieb seiner Klauenhand das Rückgrat brach.
Ich verdrängte das unangenehme Gefühl in der Brust, die
von der Speerspitze durchbohrt worden war, stieg über den Knochenhaufen und wurde
böse überrascht. Zehn Skelett-Bogenschützen warteten zwischen den Steinsäulen
auf ihre ungeladenen Besucher. Ich wich zurück, doch meine pestverseuchte
Leiche bewegte sich zu langsam. Viel zu langsam ...
Wusch! Wusch! Wusch!
Drei oder vier Geschosse schickten mich auf der Stelle
zurück zum Wiedereinstieg.
DUNKELHEIT, STEINE,
plätscherndes Wasser ganz in der Nähe.
Ich kletterte aus dem Steinhaufen und kauerte mich in die
Nische, da ich nicht aufstehen konnte. Die Schmerzen in meiner Brust ließen
schnell nach, doch das Kettenhemd war durch viele Geschosse durchbohrt wurden
und bot keinen Schutz mehr. Ein oder zwei weitere Treffer, dann hätte ich gar
keine Rüstung mehr.
Als ich den Game-Log etwas zurückscrollte, entdeckte ich
die Mitteilung, dass Garth Deathblade das Spiel verlassen hatte. Plötzlich
hörte ich das Klirren von Ketten und einen dumpfen Aufschlag. Einen Augenblick
später stürzte ein anderer Dummkopf, der die Ruinen auf dem Hügel besucht
hatte, klatschend in den Fluss, doch offenbar war er ein echter Glückspilz.
Nach seinem lauten Fluchen zu urteilen hatte der Spieler genug Gesundheit, um
den Angriff zu überleben, ohne dass ihn seine schwere Rüstung nach unten zog.
Eine Reihe von Platschgeräuschen ertönte, dann wurde das
schwache Licht noch schwächer und die geschmeidige Gestalt eines Dunkelelfen
erschien in der Öffnung.
Iss
El-Morten, Drow. Schurke, Level 10.
„Unglaublich!“, rief der Dunkelelf aus und eilte direkt
auf die Kiste zu.
Ohne sich im Verlies umzusehen, ließ er sich sofort vor
dem Schloss auf die Knie fallen und machte sich mit seinem Werkzeug daran zu
schaffen. Sobald ich den Öffnungsmechanismus klicken hörte, verließ ich die
Nische und näherte mich dem Dieb. Er war damit beschäftigt, den massiven Deckel
der Kiste hochzustemmen, und bemerkte mich erst, als wir nur wenige Schritte
von einander entfernt waren. Ich entschied mich gegen einen Angriff mit dem
Morgenstern, da ich meiner Treffsicherheit nicht traute, sondern packte den
Drow und zerrte ihn auf die überspülten Stufen zu. Wir stürzten ins Wasser und
rollten die Treppe hinunter in die Tiefe.
Der Schurke drehte sich um und hieb mir einen Krummdolch
in die Hüfte, während ich meinen Todesgriff aktivierte. Der Dunkelelf wand sich
hin und her, konnte sich jedoch nicht befreien und hieb daher hektisch weiter
mit der Klinge auf mich ein. Er hatte mir erst die Hälfte meiner Gesundheit genommen,
als seine eigene Gesundheitsanzeige erzitterte und rasch weniger wurde.
Luft. Er hatte keine Luft mehr in den Lungen!
Der Dieb ließ seinen Dolch los und krümmte sich, doch ich
packte ihn nur noch fester, sodass er nicht an die Oberfläche gelangen konnte.
Spieler
Iss El-Morten wurde getötet!
Erfahrung:
+259 [1103/1200]
Du
steigst ein Level auf!
Wow, ich hatte schon Level 7 erreicht! Mit Spielern
schaffte man das deutlich schneller als mit läppischen Monstern.
Ich hielt mich nicht lange mit der Statistik auf und
erhöhte die Beweglichkeit auf fünf Punkte. Von der Leiche nahm ich mir fünfzig
Silbermünzen und ein Paar nicht identifizierte Stiefel, schnappte mir den
Dolch, den der Schurke gedropt hatte, und stieg die überschwemmte Treppe wieder
hinauf.
Ich musste so schnell wie möglich hier raus. Wenn ich der
Drow wäre, würde ich nach dem Respawn schnellstmöglich wieder hier auftauchen,
um mich an meinem Angreifer zu rächen und mir die verlorenen Gegenstände
zurückzuholen. Das Verlies war für mich keine sichere Zuflucht mehr.
Zuallererst holte ich mir den Schädel, den ich in der
Ruine versteckt hatte, und nahm dann das Gold an mich, das wieder in der
Holzkiste aufgetaucht war. Ich war bereits auf dem Weg zum Ausgang, als mir die
offene Kiste wieder einfiel. Der Deckel war aufgeklappt, ich sah hinein und
nahm einen seltsam aussehenden Dolch heraus — er war weiß und sehr leicht, aus dem
Splitter eines gigantischen Knochens geschnitzt.
Knochendolch
Schaden
an Skeletten: 500
Haltbarkeit:
einmalige Verwendung
Ein Quest-Item, um den Herrscher der Skelette zu besiegen?
Egal, damit würde ich mich später befassen. Jetzt musste ich erst einmal zum
Friedhof. Der Nekromant wartete dort vielleicht schon auf mich. Das wollte ich
nur zu gern glauben.
4
GARTH
WAR NICHT an unserem Treffpunkt. Ich wanderte eine Weile am Waldrand hin und
her, wo ich den Eingang zum Friedhof im Auge behalten konnte, und ging dann
tiefer in den Wald, weil ich den Schädel in irgendeinem Loch verstecken wollte.
Wenn ich zwischen den schattigen Ulmen wieder zum Leben erweckt wurde, wäre ich
nicht sofort der Sonne ausgesetzt, selbst wenn ich meinen Umhang verlieren
sollte.
Ärgerlicherweise
bekam ich es fast auf der Stelle mit ein paar Wildschweinen zu tun, und nur
dank meiner Aura der Angst konnte ich einen Kampf mit den grauen Biestern
vermeiden. Als ich ihnen endlich entkommen war, hatte ich fast meine gesamte
Energie verbraucht, also kehrte ich zum Friedhof zurück.
Der Nekromant und
ich entdeckten einander im gleichen Moment. Wir erhielten eine Systemnachricht.
Du hast Garth Deathblade getroffen!
Quest fortsetzen? [Ja /Nein]
Ich bestätigte, dass
ich meine Verpflichtungen erfüllen wollte, und eine neue Nachricht erschien.
Garth Deathblade hat beschlossen, deine Quest
fortzusetzen!
Garth Deathblade ist vorübergehend dein Verbündeter.
„Wurde die Nachricht
verschickt, Nekromant?“, wollte ich wissen, denn seine Entscheidung machte mir
Hoffnung.
Garth schob sich die
Kapuze vom Kopf, fuhr sich mit den Fingern durch das weiße Haar und fragte dann
unvermittelt: „Steckst du wirklich im Spiel fest oder ist das ein Scherz eines
gelangweilten Admins?“
„Was?“, entgegnete
ich überrumpelt.
„Ich habe die
Nachricht durch einen Online-Übersetzer gejagt“, erwiderte der Nekromant. „Dann
habe ich die E-Mail-Adresse im Internet überprüft. Ich habe Land und Stadt
herausgefunden, aktuelle Nachrichten durchforstet …“
„Hast du die
Nachricht verschickt, Nekromant?“, unterbrach ich ihn. „Ja oder nein?“
„Habe ich, ganz
ruhig“, versicherte Garth mir. „Sofort, nachdem ich das Spiel verlassen hatte.
Bislang ist keine Antwort gekommen.“
„Wann war das?“
„Vor fünf Stunden.“
Verdammt!, fluchte
ich innerlich, obwohl ich unglaublich erleichtert war. Mein Anwalt wusste, dass
ich in diesem Spiel gefangen saß. Man würde mich bald hier herausholen.
„Also“, fuhr Garth fort,
„ich habe in den Lokalnachrichten nachgeforscht und bin auf die Story von einem
Mann gestoßen, der beim Spielen ins Koma gefallen ist. Der technische Support
von Türme der Macht behauptet, der User sei nicht online und es handele sich um
eine absichtliche Beschädigung der Gaming-Ausrüstung, für die sie nicht
verantwortlich seien. Man hat das Opfer in der Kapsel gelassen und in ein
Krankenhaus gebracht. Merkwürdigerweise in ein Militärkrankenhaus. Ist das bei
euch so üblich?“
Ein
Militärkrankenhaus? Hatte man ihn wirklich unter Bewachung gestellt? Oder war
die Übersetzung fehlerhaft und es handelte sich um ein normales
Gefängniskrankenhaus?
„So oder so, wenn du
dieser Typ bist, musst du dir keine Sorgen machen. Solange du krankenversichert
bist, werden sie dir schon nicht die Apparate abschalten“, sagte Garth so
leichthin, als ginge es für mich nicht um Leben und Tod.
„Man wird mich hier
rausholen!“
Der Nekromant
kicherte seltsam und schlug vor: „Ich höre mir gern deine Geschichte an und
gebe dir gute Ratschläge, wenn du die Ghule zusammentreibst. Ich muss für eine
Quest ein Rudel Wölfe vernichten.“
„Und was ist mit dem
Skelettverlies?“, fragte ich, denn mir war aufgefallen, dass sich Garth noch
immer auf Level 9 befand.
„Allein ist das zu
schwierig.“ Der Zauberer verzog das Gesicht. „Also, bist du dabei oder trennen
sich unsere Wege? Ich habe keine Zeit zu verschwenden!“
„Ich bin dabei,
Nekromant“, nahm ich sein Angebot an. „Ich habe drei magische Gegenstände. Kannst
du herausfinden, welche Eigenschaften sie haben?“
„Was bekomme ich
dafür?“, kicherte Garth.
„Du kannst dir einen
aussuchen und behalten.“
„Dann lass mal
sehen.“
Ich gewährte dem
Magier Zugriff auf mein Inventar. Die Stiefel und der Armreif bereiteten ihm
keine Probleme, doch um den Dolch zu identifizieren, musste der Nekromant einen
Zauberspruch anwenden.
Armreif der Beweglichkeit (Teil eines Sets: 1 von 2)
Beweglichkeit: +1
Stiefel der Tarnung
Tarnung: +10 %
Geschwindigkeit im Tarn-Modus: +5 %
Haltbarkeit: 20
Schattendolch
Schaden: 1-3
Kritischer Schaden: x 3
Wahrscheinlichkeit kritischer Schäden: +10 %
„Der Dolch gehört
mir.“ Erwartungsgemäß suchte Garth sich den wertvollsten Gegenstand aus.
Ich protestierte
nicht, sondern legte mir den Armreif um, zog die Stiefel an und machte mich auf
den Weg zum Friedhof. Die Ghule ließen sich problemlos aus den Gräbern locken —
wie üblich stieß ich die Grabsteine um und rief dann den Magier herbei. Er
schaffte es ohne Zwischenfälle, alle fünf Monster gleichzeitig zu
kontrollieren.
„Der Wolfsbau ist
ganz in der Nähe“, sagte Garth und erkundigte sich dann: „Also, was ist dir
angeblich passiert? Wie kommt es, dass du hier festsitzt?“
Ich berichtete ihm,
was geschehen war.
„Moment“, erwiderte
Garth überrascht. „Das war also kein Bug? Dafür ist ein Hacker verantwortlich?“
„Genau.“
„Das ist ja echt
übel, mein Freund. Jetzt verstehe ich auch, wieso der Zauberspruch ‚Untote
versklaven‘ nicht funktioniert hat. Du bist im Prinzip ein Spieler im Körper
eines NPCs!“ Garth lachte, als hätte er die Lösung zu einem Rätsel gefunden, an
dem er schon lange knackte. „Wie heißt du?“
„John“, stellte ich
mich mit der englischen Version meines Namens vor.
„John, kannst du auf
den Log zum Zeitpunkt deiner Ermordung zugreifen?“
Ich machte eine
ratlose Geste.
„Wie denn?“
„Sieh einfach nach.
Geh die Tabs durch.“
Ein junger Wolf
hüpfte aus dem Gebüsch und wurde auf der Stelle von den Ghulen zerfetzt.
„Such weiter, John,
such weiter. Wir kommen hier schon zurecht.“
Ich öffnete das
Systemfenster und sah mir der Reihe nach sämtliche Tabs an. Erstaunlicherweise
hatte Garth recht — einer der Bildschirme enthielt die Übersicht zu meinem
Schurken. Allerdings war sie inaktiv.
„Ich sehe die
Angaben zu meinem alten Charakter“, berichtete ich dem Nekromanten.
„Sieh dir die Game-Logs
an!“, riet er mir, während er ein Ritual ausführte, um einen Zombie-Wolf zu beschwören.
„Sie müssen irgendwo geblieben sein.“
„Oh! Jetzt habe ich
sie gefunden. Was habe ich davon?“
„Schick mir den
Zeitpunkt der Ermordung in unseren Gruppenchat.“
„Das geht nicht. Ich
habe nur Lesezugriff.“
Garth überlegte
kurz, fuhr sich mit der Hand durch das weiße Haar und schlug vor: „Öffne die
Einstellungen, aktiviere das Feld „Besondere Optionen“ und wähle dann „Text in
Sprache“ und „Sprache in Text“. Dann kannst du Nachrichten an berechtigte
Spieler schicken, die für dich in Sichtweite sind.“
Genau das tat ich.
„Ja, das hat
geklappt!“
Schattenfallen: Du bist gelähmt!
Erlittener Schaden: 37 [73/110]
Erlittener Schaden: 37 [36/110]
Erlittener Schaden: 37 [0/110]
Du wurdest von Spieler Jemand Jemand getötet.
Der Nekromant fror
ein, als würde er etwas nachschauen, und stieß dann einen Pfiff aus.
„Wow! Level 99! Tja,
dem werden wir jetzt die Suppe gehörig versalzen!“
„Was machst du?“
Garth lachte.
„Ich habe mich beschwert.
Der PvP-Modus steht eigentlich erst zur Verfügung, wenn ein Neuling Level 10
erreicht hat, aber Charaktere mit einem hohen Level dürfen nicht in den
Laufstall. Das ist ein direkter Regelverstoß.“
„Wird man sich nicht
fragen, wieso ich mich nicht selbst beschwere?“
Der Nekromant lachte
nur. „Ich habe geschrieben, dass der Vorfall dich emotional so mitgenommen hat,
dass du noch nicht dazu in der Lage bist, dich wieder ins Spiel einzuloggen. Du
wirst schon sehen — das wird klappen. Es klappt immer.“
„Und was habe ich
davon?“
„Begreifst du denn
nicht?“ Garth seufzte. „Das Spiel selbst kann man nicht hacken, also muss
irgendeine Hardware an der Kapsel angebracht worden sein oder die Verbindung
wurde angezapft. Der Hacker musste deinen Charakter hier ausfindig machen, um
dich in den Körper eines Toten zu bugsieren, also kann er nichts machen,
solange er vom Spiel ausgeschlossen ist. Stopp! Der Wolfsbau ist hier ganz in
der Nähe!“
Das stimmte — nacheinander
tauchten zahlreiche rote Punkte auf der Karte auf.
„Verdammt!“, fluchte
der Nekromant. „Das sind mehr Wölfe, als ich dachte!“
Ich bewaffnete mich
gerade noch rechtzeitig mit dem Morgenstern. Das Rudel ging sofort zum Angriff
über, riss einen der Zombies, die der Nekromant erschaffen hatte, in Stücke und
biss zwei Ghulen in die Pfoten. Der Kampf war in vollem Gange. Ich schlug einem
Wolf den Schädel ein, zertrümmerte einem zweiten das Rückgrat und holte direkt
erneut aus — das hatte ich meiner besseren Beweglichkeit zu verdanken.
Der Nekromant
wirbelte seinen Stab umher, um eine riesige Wölfin in Schach zu halten, die so
groß war wie ein kleines Kalb. Die Ghule kamen ihm zur Hilfe und rissen das
Ungeheuer mit Leichtigkeit nieder, während ich es allein mit vier kräftigen
Wölfen aufnehmen musste. Dem ersten Wolf schleuderte ich die stachelige Kugel
meines Morgensterns in das aufgerissene Maul, spürte jedoch sofort Bisse an
Hüfte und Handgelenk. Auf der Stelle wurde meine Gesundheitsleiste gelb, doch
dann ertönte hinter mir ein lautes Knacken und Knochensplitter flogen umher, die
die Raubtiere wie Zaubergeschosse niedermähten.
Die Ghule erledigten
die verletzten Wölfe im Handumdrehen, aber Garth sah sich verwirrt um.
„Die Quest ist nicht
abgeschlossen!“, verkündete er, dann merkte er plötzlich auf. „Oh! Die
Beschwerde wurde beantwortet! Dein Hacker wurde für drei Monate aus dem Spiel
verbannt!“
„Schreib was über
mich! Schreib, dass ich im Spiel feststecke!“
„Bist du verrückt
geworden?“, wunderte sich der Nekromant. „Sie würden dich einfach löschen!
Deinen Untoten löschen, weil es ihn gar nicht geben dürfte!“
„Aber wieso?“
„Weil die Admins
bereits der Presse gesagt haben, dass du nicht im Spiel bist! Stell dir nur mal
vor, wie der Aktienkurs des Unternehmens abstürzen würde, wenn diese Story ans
Licht kommt. Dass jemand im Spiel feststeckt, ist der Albtraum aller Entwickler!“
„Aber vielleicht ist
das eine Lösung? Sie löschen meinen Untoten und ich wache auf?“
Garth holte einen Mana-Zaubertrank
hervor und schüttelte den Kopf
„Das glaube ich
nicht. Du würdest nicht verifiziert werden. Du bist als Schurke ins Spiel
gekommen und jetzt ein Untoter. Wer weiß, wo du landen würdest. Im Augenblick
kannst du zumindest spielen.“
„Verdammt!”, fluchte
ich. „Wie konnte das überhaupt passieren?“
Der Nekromant zog
mit seinem Stab eine Linie um den zerfetzten Körper der Wölfin und meinte: „Wenn
du deine alte Statistik einsehen kannst, hat der Hacker vermutlich einen Code
für Doppelklassen benutzt, der nicht implementiert wurde. Ursprünglich waren
solche Klassen für dieses Spiel geplant, doch letztendlich beschränkte man sich
dann auf Spezialisierungen und Berufe.“
„Woher weißt du das
alles?“
„Ich bin im Prinzip
seit den Anfangstagen mit dabei!“
„Und trotzdem erst
auf Level 9?“, fragte ich ungläubig.
„Ach so“, lachte
Garth. „Ich verkaufe Charaktere. Ich level sie auf 24 hoch und verkaufe sie dann.
Es gibt unterschiedliche Optionen.“
Auf Level 25 bekam
ein Spieler seine Spezialisierung, aber ich erkundigte mich nicht weiter, wie
das eine mit dem anderen zusammenhing, sondern stellte eine andere Frage. „Wieso
kann ich meine Fähigkeiten als Schurke dann nicht einsetzen?“
„Das bleibt so, bis
das Level deiner neuen Klasse das Level der alten erreicht. Das wirst du als
NPC allerdings niemals erleben.“
„Ich level aber
hoch!“
„Im Ernst?“, fragte der
Nekromant erstaunt, während er zusätzliche Kraft in den Zauberspruch „Tote
erwecken“ investierte. „Verstehe! Bei fast allen Quests richtet sich die
Schwierigkeit nach dem Level der Spieler! Die Levels der Monster erhöhen sich
auch …“
Der Zauber, der sich
um Garth herum ausbreitete, war eiskalt, es roch nach einem geöffneten Grab,
dann erhob sich die zerfetzte Wölfin ruckartig und unbeholfen vom Boden.
Blutiger Sabber tropfte aus ihrem geöffneten Maul auf den Boden, während in
ihren Augen ein dunkles Feuer loderte.
„Hervorragend!
Einfach hervorragend!“, stieß der Nekromant erleichtert aus. „Jetzt können wir
uns mit dem Wolfsbau befassen!“
Wir bahnten uns
unseren Weg durch das Gebüsch und blieben am Eingang zur Höhle stehen. Die
Ghule liefen in das Verlies und einer von ihnen wurde direkt in Fetzen fauligen
Fleisches zerrissen. Ein riesiger, schwarzer Werwolf zerfleischte sein Opfer im
Bruchteil einer Sekunde und sprang sofort auf das zweite untote Monster zu.
Sein schrecklicher Kiefer schlug krachend zusammen, als sich die Reißzähne in
die Klauenhand des Ghuls bohrten, und mit einem Kopfruck riss das Untier sie
ihm vom Körper. Einen Augenblick später hatte es den Ghul bereits ausgeweidet
und setzte direkt zum nächsten Angriff an.
Garth warf eine Eiskugel
und die Tatzen des Werwolfs froren am Boden fest. Das Untier warf sich hin und
her, riss eines seiner Glieder vom eisigen Untergrund los und war kurz davor,
auch das andere zu befreien …
In diesem Moment
schlug die Zombiewölfin zu. Sie hieb dem Werwolf ihre Reißzähne in den Hals,
konnte ihn jedoch nicht besiegen. Auch ich mischte mit, zerschmetterte dem
Untier mit aller Kraft die Rippen, sodass es 45 Gesundheitspunkte einbüßte, und
hob erneut meine Waffe. Allerdings verfehlte ich mein Ziel, sodass der
Morgenstern mir beinahe aus der Hand flog.
DAS
EIS SCHMOLZ, der blutüberströmte Werwolf konnte die Zombiewölfin abschütteln
und biss mir in die Seite. Zum Glück schützte mich das Kettenhemd. Der Zombie
sprang vom Boden auf und grub dem Werwolf die Zähne in den Hinterlauf. Als sich
das Untier umdrehte, hieb ich ihm von hinten auf den Schädel, während Garth herbeieilte,
um ihm den schrecklichen Haken an seinem Stab in die Seite zu stoßen.
Blut schoss aus der
Wunde.
Spieler Garth Deathblade hat einen Werwolf getötet!
Die Quest „Wolfsmeute“ ist abgeschlossen!
Erfahrung: +205 [1403/1440]
Du steigst ein Level auf!
Jetzt hatte ich also
Level 8 erreicht. Meinen zusätzlichen Punkt investierte ich in mehr Beweglichkeit,
denn ich war es leid, so ungeschickt zu sein.
Wir hatten uns so
viele Erfahrungspunkte verdient, dass nicht nur ich, sondern auch der Nekromant
um ein Level aufstieg.
„Level 10!“,
verkündete er mit unverhohlener Freude. „Okay, John, es war nett, mit dir zu
spielen, aber jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt!“
Eine
Systembenachrichtigung teilte mir mit, dass die Aufgabe erfüllt worden war, und
Garth verschwand aus der Liste meiner Verbündeten. Allerdings erschien sofort
eine neue Nachricht über die dritte Quest, die letzte aus der
Dreierkombination.
„Oh nein!“, stöhnte
der Nekromant. „Dafür habe ich keine Zeit!“
„Ich schalte die
sofort ab“, versprach ich und öffnete das Quest-Menü. „Können übrigens alle
Nekromanten mit mir reden? Leider versteht mich niemand außer dir.“
„Ja, alle“,
bestätigte Garth. „Nächste Woche soll es ein weltweites Update geben, mit dem
das Königreich der Toten dazukommt. Dann werden die Nekromanten Gold wert sein.
Moment mal!“
„Was ist?“ Ich warf ihm
einen Blick zu.
„Zu den Artefakten,
die für das Königreich der Toten angekündigt wurde, gehört auch die
Schriftrolle der Wiedergeburt. Sie kann eine beliebige Kreatur wieder zum Leben
erwecken, aber nur einmal verwendet werden. Wenn dein Charakter wiederbelebt
wird, kannst du vielleicht das Spiel verlassen.“
„Wow!“, stieß ich
hervor.
„Allerdings ...“ Der
Nekromant machte eine Pause. „Nein, das kommt nicht infrage. Die Wiederbelebung
einer epischen Kreatur ist ein begehrter Preis, und du wirst auf keinen Fall
vor den anderen in den Turm der Verwesung gelangen.“
„Könnte das denn
helfen?“, fragte ich hoffnungsvoll.
„Es spielt keine
Rolle“, entgegnete Garth, während er das Blut von seinem Stab wischte. „Was ist
denn jetzt mit dieser Quest?“
„Ich kann sie nicht
aufheben“, log ich. „Lass uns doch etwas anderes machen — zum Beispiel diesen
Schädel aus der Stadt herausbringen und in ein tiefes Loch werfen.“
„Was ist das für ein
Schädel?“, fragte Garth interessiert.
„Ich weiß es nicht“,
log ich erneut, „aber irgendwie hängt er mit der Quest zusammen, die mich das
Leben gekostet hat. Wenn er nicht mehr da ist, lassen die anderen Spieler mich vielleicht
in Ruhe. Ich bin es so leid, ständig zu sterben.“
„Was ist die
Belohnung?“, fragte der Nekromant.
Ich legte all mein
Gold in das Menu zur Quest-Erstellung, doch der Betrag konnte den Nekromanten
nicht beeindrucken.
„Gib noch die
Stiefel und den Armreif der Beweglichkeit dazu“, verlangte er. „Außerdem musst
du einstellen, dass ich die Belohnung bei Abschluss der Quest bekomme, denn ich
habe nicht vor, noch einmal hier aufzutauchen.“
Ich tat alles, was
er verlangte, und vergaß dabei nicht, eine Mindestdistanz festzulegen, die der
Schädel zurücklegen musste, damit die Belohnung ausgegeben wurde.
Garth Deathblade hat deine Quest akzeptiert!
„Man sieht sich,
John!“ Der Nekromant winkte mir zu und marschierte zu den Toren zum Park. „Hat
mich gefreut!“
„Mich auch“,
antwortete ich vollkommen ehrlich.
Jetzt hatte ich ein
Ziel. Ein Ziel im Leben und im Spiel.
Meine Lage erschien
mir nicht mehr aussichtslos. Selbst wenn es meinem Anwalt nicht gelingen
sollte, mich aus dem Spiel zu holen, konnte ich wieder in die Realität
zurückkehren. Ich musste mir lediglich die Schriftrolle der Wiedergeburt
sichern, indem ich in Türme der Macht den allerbesten und erfahrensten Spielern
zuvorkam. Auch wenn Garth mir helfen würde, aus diesem nervigen Park zu
entkommen, standen mir keine rosigen Zeiten bevor. Mit einem armseligen Level 8
kam man außerhalb des Laufstalls nicht weit.
Ich öffnete mein
Inventar, warf einen Blick auf den Knochendolch und machte mich entschlossen
auf in Richtung Skelettverlies.
Wieso nicht etwas
Erfahrung sammeln?
5
DAS
GOLD, der Armreif der Beweglichkeit und die Stiefel der Tarnung verschwanden
aus meinem Inventar, als ich bereits den Eingang zum Unterschlupf des Herrschers
der Skelette erreicht hatte und unter einem umgestürzten Baum kauerte, damit
andere Spieler mich nicht bemerkten.
Garth Deathblade hat deine Quest abgeschlossen!
Ich las die
Systembenachrichtigung noch einmal und stieg aus dem Gebüsch auf die Lichtung.
Das Skelettverlies
galt als einer der schwierigsten Orte im Laufstall. Die Spieler konnten es nur
stürmen, wenn sie sich zu großen Teams zusammentaten, ansonsten war es fast
immer wenig bevölkert. Der Besitzer eines Knochendolches hatte anderen
gegenüber keinen Vorteil — keinem Anfänger würde es gelingen, ganz allein bis
auf die unterste Ebene zu gelangen. Eine pestverseuchte Leiche jedoch brauchte
keine Kraft, um durchzukommen! Ich hoffte nur, dass sich die Skelette nicht an
meinen letzten Besuch erinnern würden …
Ganz unauffällig
näherte ich mich meinem alten Freund, dem Skelett mit dem Speer, das reglos in
der Tür stand. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und schlich mich an ihm
vorbei in die unterirdische Halle mit den vielen Armbrustschützen.
Untote: Neutral
Keines der Skelette
rührte sich, als ich auftauchte. Das gab mir Mut, sodass ich nach dem Zugang
zur nächsten Ebene Ausschau hielt. Plötzlich hörte ich jedoch eilige Schritte
und aufgeregtes Rufen am Eingang.
Kaum hatte ich mich
hinter einer der Steinsäulen versteckt, stürzte der Skelettwächter mit
eingeschlagenen Schädel zu Boden und drei halbnackte Barbaren kamen in die
Halle gestürmt. Der Pyromant, der im Eingang erschien, warf eine Feuerkugel auf
die Armbrustschützen, doch aufgrund der zahlreichen Säulen konnten die Flammen
nur drei Skelette zerstören.
Armbrustbolzen
sausten pfeifend durch die Luft, einer der Barbaren fiel. Die Wachposten ließen
ihre leeren Waffen fallen und gingen zum Nahkampf über. Zusätzlich zu den
Armbrüsten waren sie auch mit Schilden und Handbeilen bewaffnet.
Im allgemeinen
Durcheinander eilte ich auf die Treppe zu, stieg ein Stockwerk tiefer und
landete sofort in einer Falle — der rostige Spieß, der aus der Wand
hervorragte, war nur eine Handbreit von meinem Bauch entfernt, sonst hätte er
mich direkt durchbohrt.
Über mir waren nach
wie vor Kampfgeräusche zu hören, deshalb ließ ich alle Vorsicht fahren und ging
weiter den Gang hinunter. Irgendwie gelang es mir, die nächste Treppe zu
erreichen, ohne erneut in eine Falle zu geraten. Hier unten war es deutlich
dunkler und unheimlicher. Überall hingen Ketten von den Wänden, während der
Boden mit Knochen übersät war und an jeder Ecke graue Fetzen von Spinnennetzen klebten.
Drei Skelettwächter in klirrenden Kettenhemden mit Hellebarden auf den
Schultern kamen an mir vorbei, neben ihnen war ein schwebender Geist
auszumachen.
Am Zugang zur
letzten Ebene wartete reglos die in Lumpen gehüllte Gestalt eines
Hexenmeisters. In seinem Schädel loderten orangefarbene Flammen und es war, als
würden seine toten Augenhöhlen mein Näherkommen mit boshaftem Interesse
verfolgen. Es hatte fast den Anschein, als wollte er auf mich losgehen, und ich
bemerkte, dass sich unter dem zerrissenen Umhang keine Beine befanden — das
Skelett schwebte in der Luft.
Im Vorbeigehen
spürte ich einen heißen Lufthauch, als der tote Hexenmeister den Kopf wandte
und mit den Zähnen klapperte, als wittere er eine List. Ansonsten tat er jedoch
nichts.
Und dann stürzte ich
und rollte rasch die Stufen hinab in die Höhle des Herrschers der Skelette!
Der Saal, an dessen
Steinwänden Fackeln loderten, war überraschend klein. Auf einem hohen Thron saß
der Herrscher, ein ungeheures, beidhändiges Flammenschwert mit gewellter Klinge
über den Knien. Obwohl Rost an der Waffe genagt hatte, wirkte sie genauso
beeindruckend und furchterregend wie ihr Besitzer. Der Herrscher trug einen
offenen Helm auf dem Schädel, sein Körper war von einem kunstvoll gewebten
Kettenhemd bedeckt, die Schienbeine steckten in hohen Stiefeln mit eisernen
Kappen.
In den Ecken der
Halle hielten vier Leibwächter mit normalen beidhändigen Langschwertern Wache,
rührten sich jedoch nicht, als ich hereinkam. Auch der Herrscher saß reglos da,
doch ich wagte es nicht, mich ihm zu nähern, sondern ging lieber um den Thron
herum und kauerte mich neben eine staubige Kiste, die dort stand. Zu meinem
großen Bedauern war sie verschlossen.
Da ich hier sonst
nichts weiter tun konnte, ging ich zum Herrscher und stieß ihm den Knochendolch
zwischen die Rippen. Das Skelett erschauerte und zerfiel in eine Wolke aus
grauem Staub. Der Helm, der ihm vom Schädel stürzte, prallte von der Armlehne
ab, flog durch die Luft und rollte dann auf die Wand zu. Auf dem Thron blieben
lediglich das Kettenhemd und das Schwert zurück. Außerdem fiel ein schwerer
Geldbeutel neben den leeren Stiefeln auf den Boden.
Der Herrscher der Skelette wurde getötet!
Erfahrung: +250 [1653/1730]
Du steigst ein Level auf!
Ich verschwendete
keine Zeit darauf, meine Werte zu erhöhen, sondern warf das beidhändige
Flammenschwert, Kettenhemd und Stiefel in mein Inventar und eilte zu der Kiste
hinter dem Thron. Dort schaffte ich es allerdings nicht mehr, den Schlüssel aus
dem erbeuteten Geldbeutel zu fischen. Ein Skelett-Leibwächter hielt mich auf,
indem er mir die schwere Klinge des beidhändigen Langschwerts in die Beine hieb
und mir die Knochen unter den Knien durchtrennte. Ich stürzte zu Boden und
konnte nicht mehr aufstehen. Das Skelett hob sein Schwert über den Kopf und
ließ es herabsausen, sodass ich auf dem Steinboden festgenagelt wurde.
Du wurdest getötet!
Dunkelheit, eine
zähe Masse aus Unrat auf meinem Körper und der unerträglich Gestank von
Abwasser.
Garth hatte sich
keine große Mühe gegeben und den Schädel einfach weggeworfen, sobald er die
Stadtgrenzen von Old Gardens hinter sich gelassen hatte.
Von Kopf bis Fuß mit
Dreck bedeckt stieg ich aus dem Abwassergraben, fluchte verärgert und blickte
mich um. In der Nähe waren die Stadtmauern zu sehen, doch die Sonne war bereits
untergegangen und die Wachposten konnten mich nicht richtig erkennen, während
Anfänger in der Regel keine nächtlichen Spaziergänge wagten. In der Hauptwelt
genossen Spieler mit niedrigem Level keinen besonderen Schutz mehr, deshalb
konnte man sehr leicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
Das galt auch für
mich.
Ich bog von der
Straße in Richtung einer geheimnisvollen Ruine ab, wischte den Schädel mit dem
Zipfel meines Umhangs ab und schob ihn in ein Loch in einer halb eingestürzten
Mauer. Dann erhöhte ich mit dem Punkt, den ich mir durch das Erreichen von
Level 9 verdient hatte, meine Beweglichkeit und nahm meine Beute genauer unter
die Lupe.
Im Geldbeutel des
Herrschers der Skelette entdeckte ich einhundert Goldmünzen sowie einen Smaragd
und den Schlüssel zu der Schatzkiste, der für mich nun wertlos war. Das rostige,
lange Kettenhemd hatte leider keine magischen Kräfte, doch ich tauschte es
gegen mein altes, das der Angriff der Skelettleibwächter ruiniert hatte. Die
Stiefel und das beidhändige Flammenschwert jedoch entlockten mir einen
überraschten Pfiff.
Stiefel der Stille (Set des Toten: 2 von 13)
Rüstung: 2
Schaden: 2
Geräusch im Tarn-Modus: -10 %
Beschränkt auf: Untote, Nekromanten
Blutiges Flammenschwert (Set des Toten: 2 von 13)
Schaden: 6-12
Genauigkeit: +10 %
Wahrscheinlichkeit kritischer Schäden: +10 %
Wahrscheinlichkeit von Schäden mit Blutverlust: 4 % für
jede Welle der Klinge, die zum Einsatz kommt
Schaden durch Blutverlust: 2 Sekunden lang 2 Gesundheitspunkte
pro Sekunde
Status: Äußerst selten
Beschränkt auf: Untote, Nekromanten
Ehrfürchtig wog ich
das Flammenschwert in der Hand, betrachtete seine gewellte Klinge, die in den Anfangsgebieten
des Spiels eine unangenehme Überraschung für jeden Gegner bedeuten würde, und
zog dann die Stiefel an. Anschließend bewunderte ich die Werte meines
Charakters.
Gesundheit: 207
Ausdauer: 184
Energie: 45
Schaden: 48 - 96
Wow, dieser Schadenswert
war nicht übel! Ein Spieler auf Level 9 hatte üblicherweise nur etwa 100
Gesundheitspunkte, es sei denn, er konzentrierte sich ganz auf die körperliche
Verfassung. Ich ließ das Flammenschwert ein paarmal durch die Luft sausen, doch
dann bemerkte ich eine seltsame Lichtkugel, die in der Nähe des Stadttors in
der Dunkelheit aufleuchtete. Das Licht verharrte einen Augenblick und näherte
sich anschließend rasch den Ruinen oder genauer gesagt dem Abwassergraben, in
dem ich diesmal zum Leben erwacht war.
Eine unangenehme
Vorahnung durchfuhr mich wie ein kalter Schauer, doch ich lief nicht davon,
sondern versteckte mich hinter der zerfallenen Mauer und umfasste den Griff des
Flammenschwerts so, dass es besser in der Hand lag.
Als das magische
Licht näher kam, sah ich, dass die leuchtende Kugel über einem Mann hing, der
den Weg entlangrannte. Wer genau der Spieler war, konnte ich aufgrund meiner
schlechten Wahrnehmung nicht erkennen, und ein Hinweis auf seinen Namen tauchte
nicht auf.
Der Fremde stand
eine Weile am Abwassergraben, sprang dann hinein und wühlte eifrig darin herum.
Sofort nahm ich den verzauberten Schädel aus dem Loch im Mauerwerk und
verstaute ihn in meinem Inventar. Wer auch immer dort im Dreck herumsuchte, war
gekommen, um ihn in die Finger zu kriegen.
Ich hatte mich
bereits vorsichtig in den hinteren Bereich der Ruine zurückgezogen, als der
Spieler aus dem Graben stieg und eine Handbewegung machte. Helle Energie erstrahlte
in Wellen in alle Richtungen, sodass die Bäume in schimmerndes Licht getaucht
wurden und die nächtliche Dunkelheit taghellem Schein wich.
Weglaufen konnte ich
jetzt nicht mehr, doch in den Ruinen war ich nicht zu entdecken.
Das dachte ich
zumindest, bis ich an mir herunterblickte und feststellte, dass ich leuchtete
wie ein frisches Brandzeichen.
„Komm raus, Johnny!“,
hörte ich von draußen. „Komm raus, wir müssen reden.“
Der Magier schob
sich die Kapuze vom Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch das weiße
Albino-Haar.
Garth Deathblade. Nekromant auf Level 11.
Schon auf 11! Das
war schnell gegangen ...
Es hatte keinen
Sinn, sich weiter zu verstecken. Ich legte mir die gewellte Klinge des
Flammenschwerts auf die rechte Schulter und ging aus den Ruinen auf den
Nekromanten zu.
„Lange nicht gesehen,
Garth.“
„Wo ist der Schädel,
Johnny?“
„Was geht dich das
an?“
„Sag es mir einfach.
Du hast ihn bei dir, oder?“
Ich schüttelte den
Kopf und streckte knackend den Rücken.
„Also, was ist?“,
fragte ich erneut.
„Du hast mich
angelogen!“, rief Garth. „Du hast mir nicht verraten, dass dieses Artefakt
darüber bestimmt, wo du wieder zum Leben erwachst!“
„Ich habe dir
gesagt, dass es ein Quest-Item ist. Und das stimmt.“
„Ich brauche ihn.“
„Wozu?“
„Geht dich nichts
an!“
„Oh, doch,
allerdings!“
„Gib ihn mir zurück,
sonst nehme ich ihn mir mit Gewalt!“, drohte der Nekromant.
„Sag mir, was los
ist, dann überlege ich es mir vielleicht.“
Garth sah mich an,
als wollte er zuschlagen, doch dann hielt er sich zurück und verriet mir
widerwillig: „Man hat mir dafür fünfzigtausend geboten. Euro, nicht Spielgold!
Fünfzigtausend Euro! Für so viel Geld muss ich zwei Jahre arbeiten. Und ich
werde den Preis noch höher treiben!“
Ich war fassungslos.
„Woher weiß man
denn, dass du den Schädel hattest?“
Der Nekromant stieß
ein höhnisches Geräusch aus. „Das Angebot kam von der Adresse, die du mir
gegeben hast. Du weißt, was das bedeutet?“
Das bedeutete, dass
ich in Schwierigkeiten steckte.
Mein eigener Anwalt
hatte für den Schädel Geld geboten. Er hatte mir geraten, mich zu entspannen
und eine Weile zu spielen. Verdammt! Er musste für Kogan gearbeitet haben!
Aufgrund der Beschwerde beim technischen Support war der Hacker drei Monate
lang vom Spiel ausgeschlossen, also gab es nur noch eine Möglichkeit, mich zum
Schweigen zu bringen — indem dafür gesorgt wurde, dass ich in der Wüste oder im
Krater eines Vulkans wieder zum Leben erwachte. Auf jeden Fall irgendwo, wo ich
mit niemandem sprechen konnte und wieder und wieder starb, bis mein echter
Körper nicht mehr künstlich am Leben erhalten wurde.
„Und du, Garth?
Weißt du, was das bedeutet?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage. „Sie wollen
mich töten und du verlangst von mir den Schädel!“
„Du bist sowieso
schon tot! Du kommst aus keinem Fall wieder aus dem Spiel heraus. Du siehst
eher deinen eigenen Hinterkopf als eine Schriftrolle der Wiedergeburt! Da kann
ich mir getrost die 50 K sichern!“
Der Nekromant hatte
sich erfolgreich eingeredet, dass er nichts Unrechtes tat, vielleicht war es
ihm auch einfach egal.
Ich schüttelte den
Kopf und ging langsam aus dem Lichtkreis. „Lass mich einfach in Ruhe, dann
passiert uns beiden nichts.“
Der Nekromant
schleuderte eine Wolke aus Knochenspeeren in meine Richtung und ging zum
Angriff über.
Todeszauber: Immunität
Garth wusste nicht,
dass ich vor Todeszauber geschützt war, und setzte auf die falsche Karte. Die
Knochenspeere konnten mich nicht verletzen, lähmen oder meine Willenskraft
rauben. Sobald sie meine Brust berührten, wurden sie zu grauen Staubfäden.
Der Stab mit dem
Haken dagegen war auch in der Hand eines Nekromanten eine gefährliche Waffe,
deshalb trat ich vor und hieb mit dem Flammenschwert nach meinem Gegner. Die
gewellte Klinge durchschnitt sein Fleisch, sodass der Nekromant in die Knie
sank.
Schaden: 65
Ich zögerte einen
Augenblick, denn ich war mir nicht sicher, ob ich mein Gegenüber endgültig
erledigen sollte, doch Garth versuchte sofort erneut, mich zu töten. In seinen
Händen brannte eine milchigweiße Energiekugel, während sich Raureif über dem
Boden ausbreitete, doch kurz bevor er seine Eissphäre einsetzen konnte, drehte
ich mich um und trennte ihm den weißhaarigen Kopf mit einem einzigen, mächtigen
Hieb vom Hals.
Ein Schwall Blut
schoss hervor.
Spieler Garth Deathblade wurde getötet!
Erfahrung: +311 [1964/2070]
Du steigst ein Level auf!
Ich erhöhte meine
Beweglichkeit, als plötzlich alles vor meinen Augen verschwamm. Ich musste mich
mit dem Schwert abstützen, um nicht zu stürzen, doch die Übelkeit ließ nicht
nach. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, ich konnte nicht
begreifen, was vor sich ging. Ich wusste nicht einmal, wer ich war!
Und dann leuchtete
plötzlich eine Systemnachricht auf:
Hauptklasse verfügbar!
Hauptklasse verfügbar!
Hauptklasse verfügbar!
Ich kam wieder zu
mir, öffnete das Menü und traute meinen Augen kaum.
[…]
Untoter, Fleischfresser. Level 10 / Mensch, Schurke.
Level 10
Erfahrung: [1964/2070] [2008/2070]
Stärke: 20
Beweglichkeit: 13
Konstitution: 24
Intelligenz: 5
Wahrnehmung: 6
Gesundheit: 480
Ausdauer: 440
Energie: 110
Schaden: 60-120
Tarnung: +10
Kritische
Schäden bei Angriffen im Tarn-Modus, Hinterhalten oder Angriffen auf ein gelähmtes
Ziel.
Kreatur der Finsternis: Nachtsicht, Einschränkung im
Sonnenlicht, Todesgriff, Aura der Angst, Fürchterlicher Biss
Neutralität: Untote
Immunität: Todeszauber, Gift, Verfluchung, Bluten,
Krankheit, Heilungen und Segen.
Meine beiden
Charaktere hatten sich miteinander verbunden, sodass meine Werte einem Spieler
auf Level 20 entsprachen! Ich hatte wieder meine Fähigkeiten als Schurke und
beherrschte die menschliche Sprache, war jedoch weiterhin ein Untoter — an
einigen Hautstellen sah ich immer noch Leichenflecken. Die Quaddeln und Pusteln
dagegen waren fast alle verschwunden und erstaunlicherweise war auch mein Mund
deutlich breiter, mit verdächtig scharfen Zähnen, als wären sie gezielt gefeilt
worden.
Stopp! Ich dachte in
die falsche Richtung!
Ich suchte nach der
Möglichkeit, das Spiel zu verlassen, doch der Menüpunkt war nicht aufgetaucht.
Auch die Hotline zum technischen Support stand nicht zur Verfügung.
Verdammt! Ich war
nach wie vor im Spiel gefangen!
Fluchend versuchte
ich, das Menü zu schließen, wurde jedoch aufgefordert, meinem Charakter einen
Namen zu geben. Der alte war offenbar gelöscht worden, als die Klassen
miteinander verschmolzen.
Mit einem schiefen
Lächeln tippte ich: „John Doe.“ Dann trat ich aus der Blutlache, die sich um
den Nekromanten bildete, und verzichtete darauf, ihn auszuplündern. Das tat ich
nicht, um meine Stiefel zu schonen, sondern ich wollte mir beweisen, dass ich
mich zurückhalten konnte. Dass es mir gelang, selbst im toten Körper eines
Fleischfressers menschlich zu bleiben.
Mit dem
Flammenschwert auf der Schulter marschierte ich die Straße hinunter, die von
der Stadt wegführte. Ich hatte keine Ahnung, was mir unterwegs begegnen würde,
doch ich war mir ganz sicher, was mich am Ende erwartete.
Schriftrolle der
Wiedergeburt, ich komme!
Release - April 25
Pre-order - https://www.amazon.de/dp/B07N3YYSBW
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