Unterwerfung der Wirklichkeit, Buch 2
Bedrohung aus dem All
von Michael Atamanov
Prolog. Mit Feindesaugen
Pa-lin-thu,
Hauptstadt der Ersten Präfektur
Palast
des Regierungsrates
Kleine
Ratskammer
IN EINE SCHLICHTE schwarze Zeremonienrobe ohne
jegliche Ornamente oder Verzierungen gekleidet schritt Thumor-Anhu La-Fin
majestätisch den beleuchteten Weg zum Podium hinauf. Aus den Augenwinkeln sah
der alte Mann die feindseligen Blicke aus den Reihen, die den düsteren, stillen
Raum mit Kälte erfüllten. Der Magierführer spürte auch ohne Einsatz seiner
psionischen Fähigkeiten die Spannung. Er wusste bereits, wie gierig diese
niederrangigen Herrscher ihn verschlingen würden, wenn ihm ein Fehler unterlief
oder er auch nur einen Hauch von Schwäche oder Ängstlichkeit zeigte. All diese
Magier fürchteten und respektierten nur eines: Stärke. Während Mitregent
Thumor-Anhu La-Fin also durch diesen Raum ging, musst er dafür sorgen, dass in
seinem stolzen, majestätischen Gesicht kein einziger Muskel zuckte.
Es fiel
ihm schwer, so gelassen zu bleiben, denn der mächtige Magier war gezwungen
worden, seinen Stab am Eingang des Palastes zurücklassen. Die Wachen waren zwar
höflich und geziemend gewesen, doch hatten sie darauf bestanden, dass er seine
magische Waffe abgab. Sie erlaubten ihm jedoch, einen ähnlich aussehenden, wenn
auch für Zauberzwecke nutzlosen Ersatzstab mitzunehmen. Und während er nun
dahinschritt, stützte sich Thumor-Anhu La-Fin ein wenig auf diesen zwecklosen,
gewöhnlichen Stock. Ohne seinen zuverlässigen Zauberstab fühlte sich der alte
Magier wie entblößt und dies entfesselte die Angst in ihm zusehends. Es schien,
als stünde er nun kurz vor einer Katastrophe. Schließlich war er noch nie zuvor
in seinen vierzig Jahren als Machthaber gebeten worden, seinen wertvollen Stab
abzugeben, nur um einer Sitzung beizuwohnen. Manchmal, wenn die Ratssitzungen
zu lange dauerten, bot die mächtige Magie willkommene Abhilfe für seine
schmerzenden Knochen. Der Stab diente also nicht nur der Verteidigung.
An
jedem anderen Tag hätte Thumor-Anhu La-Fin eine Szene gemacht und verlangt,
dass er mit dem Respekt behandelt wurde, den er als edler Mitregent und
Ältester verdiente. Er war einer der drei höchsten Oberherren der Menschheit,
und die unverschämten Wachen, die es wagten, ihn von seinem Stab zu trennen,
verdienten eigentlich das Schlimmste. Tatsächlich hätten von ihnen nichts als
dampfende Pfützen Protoplasma oder karbonisierte Statuen übrigbleiben sollen.
Aber heute war nicht der Tag, um Spannungen zu schüren. Schließlich war diese
Ratssitzung einberufen worden, um zu besprechen, ob Thumor-Anhus geeignet war,
eine Fraktion im Spiel, das die Wirklichkeit unterwirft, zu leiten. Nach
einer Reihe von Unglücksfällen in jüngster Zeit befand sich seine Fraktion in
einer misslichen Lage und man stellte seine Kompetenz und Weisheit in Frage.
Seit
seinem Auftauchen faszinierte das Spiel, das die Wirklichkeit unterwirft,
die Mitglieder der herrschenden Aristokratie. Es bot grenzenlose Möglichkeiten
und Gelegenheiten, Neues zu lernen. Darüber hinaus war es so, dass sich
magische Kräfte, die im Spiel trainiert wurden, auch in der realen Welt
verbesserten. Das Spiel vermochte auch jede Krankheit zu heilen und gewährte
bis auf wenige Ausnahmen absolute Unsterblichkeit. Allerdings war die Anzahl
der Personen, die das Spiel betreten und spielen konnten, vorerst begrenzt.
Tatsächlich gab es so viel mehr Menschen, die ins Spiel eintreten wollten, als
verfügbare Plätze, dass einige von ihnen in Todesduellen um diese wenigen
Plätze kämpften. So war es nicht verwunderlich, dass alle drei Mitregenten der
Menschheit den Fortschritt ihrer Gesellschaft im Spiel überwachen und leiten
wollten und sogar direkt teilnahmen, jeder an der Spitze seiner eigenen
Fraktion.
Mittlerweile
hatte es in der virtuellen Welt über Jahrhunderte hinweg viele erstaunliche
Entdeckungen und fortschrittliche wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben, so
dass der Regierungsrat ihr höchste Priorität einräumte. Es brauchte nur ein
Wort von einem Fraktionsvorsitzenden, und wertvolle reale Ressourcen wurden
mobilisiert, um sie gegen außerirdische Technologien im Spiel einzutauschen.
Ganze Institute von Analysten und Wahrsagern arbeiteten ununterbrochen daran,
die effektivsten Strategien sowohl für das Wachstum der eigenen als auch für
die Übernahme benachbarter Fraktionen zu ermitteln. Wenn ein
Fraktionsvorsitzender jemanden mit einem bestimmten Beruf benötigte, konnte er ohne
Umschweife die Besten des Felds rekrutieren. Der Rekrutierte hatte da wenig
Mitspracherecht. Das Bedürfnis, im Spiel zu dominieren, hatte alle realen
Probleme verdrängt. In der Dritten Präfektur griff zum Beispiel eine Hungersnot
um sich und in der sechsten kam es immer wieder zu Anti-Magier-Revolten.
Kürzlich hatte der selbst ernannte Monarch der Zweiten Präfektur sogar die
Erlaubnis erhalten, dem Regierungsrat beizutreten. Natürlich war er ein
erfolgreicher und beliebter Militärkommandant, aber er war die erste Person
ohne magische Fähigkeiten seit achthundert Jahren, die im Rat saß.
Thumor-Anhu
La-Fin sollte als Dritter sprechen. Die beiden anderen Mitregent hatten ihre
Reden bereits beendet, in denen sie sich wortgewandt für ihr Recht, nicht nur
in der realen Welt, sondern auch im Spiel, das die Wirklichkeit unterwirft,
führen zu können, aussprachen. Und jetzt würde der Regierungsrat Leng
Thumor-Anhu La-Fin anhören. Er wusste, dass sie viele Fragen haben würden, also
fühlte sich der Schritt auf das Podium wie ein Gang zum Galgen an.
Kurz
bevor er das Podium erreichte, drehte Thumor-Anhu La-Fin seinen Kopf ein wenig
und blickte auf die beiden anderen ehrenwerten Mitregenten. Anri-Huvi La-Shin
trug ein helles rotes Band auf seiner Robe, was bedeutet, dass er den Vorsitz
über dieses Treffen hatte. Ein gutes Zeichen! Im Gegensatz zu Mitregent
Onuri-Unta La-Varrez hegte er keinen persönlichen Groll gegen Thumor-Anhu und
würde nicht versuchen, ihn mit Fangfragen und scharfen Bemerkungen aus dem
Konzept zu bringen. Anri-Huvi La-Shin war beinahe ein Freund, zumindest in dem
Maße, in dem eine echte Kameradschaft zwischen Mitgliedern des hohen Adels
möglich war. Natürlich würde Anri-Huvi La-Shin wahrscheinlich einen politischen
Gefallen für seine Loyalität erwarten. Vielleicht würde er um die Berufung
seines Sohn in den Rat bitten, oder darum, dass seiner neuesten Frau eine
Führungsposition im thermonuklearen Kraftwerk übertragen wurde, wenn es in
Betrieb war. Nichts davon war jedoch unmöglich.
Da
leuchtete eine riesige Leinwand hinter ihm auf. Der Rat verstummte und hing nun
an seinen Lippen. Thumor-Anhu La-Fin ratterte selbstbewusst Zahlen und
Statistiken herunter und blickte dabei nicht einmal auf die Präsentation hinter
ihm. Es war deutlich, dass er über ein ausgezeichnetes Gedächtnis und einen
scharfen Verstand verfügte. Seine Kolonie wuchs rasant. Er waltete über fünf
Hexagone, die allesamt weit entwickelt waren, während zwei benachbarte Hexagone
auf die Kolonisation vorbereitet wurden. Das Haupthexagon hatte die
Entwicklungsstufe vier erreicht. Seine Fraktion umfasste nun über 3700 Spieler
und besaß einen aufstrebenden Produktionssektor. Man war völlig autark in
allem, von der Nahrung angefangen bis hin zu Hightech-Waffen. Darüber hinaus
lief der Handel mit den Geckho-Herrschern gut und eine
Hochgeschwindigkeitsstraße zum Raumhafen der Geckho befand sich im Bau. Seine
Gruppe befand sich jedoch in einer etwas rauen Gegend. Das würde wohl der
wichtigste Punkt seiner Rede sein, dachte der Leng, also verwandte er den
größten Teil seiner Zeit darauf. Als erfahrener Politiker wusste er, dass er
nicht versuchen sollte, offensichtliche Probleme unter den Teppich zu kehren.
Es war ratsamer, hier vorausschauend das Thema in Angriff zu nehmen, so würde
der gute Eindruck in den Köpfen des Publikums bleiben. Erste Eindrücke, man
wusste das ja ...
Jedenfalls
waren seiner Fraktion, wie er es ausdrückte, lästige Nachbarn aufgebürdet
worden. Und das bedeutete nicht etwa, dass es Probleme mit den primitiven
NSC-Harpyien oder anderen Fabelwesen gab. Die benachbarte Spielerfraktion stellte
die viel größere Herausforderung dar. Die H3-Fraktion war sehr kriegerisch, und
sie hatte etwa 1500 Spieler. Außerdem bestand die Mehrheit der feindlichen
Fraktion aus Berufssoldaten mit reichlich praktischer Kampferfahrung. Obwohl
Thumor-Anhus ihnen zahlenmäßig und technisch überlegen war, hatte die direkte
Konfrontation nicht das gewünschte Ergebnis gebracht. Zwar kehrten die
Fraktionen nach jedem Gefecht wieder in ihre Ausgangspositionen zurück, so dass
an sich nichts verloren war. Doch die H3-Fraktion hatte bereits eine Menge
Waffen und Ausrüstung beschlagnahmt. Diese Beute benutzten sie nicht nur im
Kampf, sie lernten auch, sie nachzubauen, was das technologische
Ungleichgewicht aufzuheben drohte.
Aber
Leng La-Fin hatte sich entschieden, die Strategie zu ändern und versuchte nicht
mehr, seine gefährlichen Nachbarn in einem einzigen entscheidenden Kampf zu
erledigen. Alle seine Prognosen zeigten, dass die H3-Fraktion langsamer
vorankam als seine eigene. Außerdem hatten sie keine Magier und waren daher
nicht in der Lage, Manipulation oder implantierte Gedanken zu erkennen. So
wollte er nun versuchen, den Feind mittels Magie zu infiltrieren und durch
aktive Propaganda indirekt zu besiegen. Und diese Taktik hatte bereits Früchte
getragen. Ein hochrangiger Anführer der H3-Fraktion arbeitete bereits seit
Langem für Leng La-Fin und lieferte wertvolle Informationen direkt aus dem
feindlichen Hauptquartier. Und erst gestern wurde er erfolgreich in die Hauptstadt
von La-Fins Hexagon evakuiert.
„Und Mitregent Thumor-Anhu La-Fin
nennt das einen Sieg?“
Wie der alte
Magier befürchtet hatte, verbiss sich Mitregent Onuri-Unta La-Varrez sofort in
diese Schwachstelle. "Im Wesentlichen wurde sein wertvollster Agent neutralisiert.
Und das soll ein Grund zum Feiern sein? Ich nenne es einen schweren Fehler!
Außerdem fällt es mir schwer zu verstehen, wie in aller Welt er angesichts
seiner technologischen Überlegenheit und dreimal so vielen Soldaten verlieren
konnte!“
Thumor-Anhu
La-Fin nahm all seine Geduld zusammen, um Ruhe zu bewahren. In seinem Bericht
hatte er nicht erwähnt, dass er dreimal mehr Spieler hatte. 3700 zu 1500 war
wohl weit entfernt von dieser Zahl. Aber sein Gegner hatte sich wahrscheinlich
nicht nur geirrt. Er versuchte mit ziemlicher Sicherheit, die Aufmerksamkeit
aller auf die Zahlen zu lenken. Er musste von der gestrigen Bombardierung des
Kornknotens gewusst haben. Der Knoten war um zwei Entwicklungsstufen gefallen
und Thumor-Anhu La-Fins Fraktion sah sich gezwungen, ihre Reihen um 700
Soldaten zu verringern. Vor der Schlacht hatte er einen dreifachen Vorteil
gehabt, und Onuri-Unta La-Varrez wollte wohl sicherstellen, dass alle das
wussten.
Der
ältere Magier sammelte sich, schluckte seine Emotionen hinunter und antwortete
in einem gleichmäßigen und ruhigen Ton:
„Du darfst unsere Gegner nicht
unterschätzen. Trotz ihrer Unkenntnis der magischen Künste verfügt die
H3-Fraktion einen erstklassig funktionierenden Spionageabwehrdienst, und sie
haben bereits mehrere unserer Spione enttarnt. Ein so wertvoller Agent wie
dieser, mit Zugang zu streng geheimen Plänen, kann leicht aufgedeckt werden,
indem man ihm spezifische Informationen füttert und wartet, ob er uns in die
Hände fällt. Unser Mann stand unter Verdacht, also haben wir ihn so schnell wie
möglich entfernt. Es wird ihm an nichts fehlen und er kann als Beweis dafür
dienen, dass wir unser Wort halten. Nachdem wir festgestellt hatten, dass sich
die Spieler zwischen unseren Fraktionen bewegen können, über eine Virtual-Reality-Kapsel
einsteigen und das Spiel über andere wieder verlassen können, war es an der
Zeit zu testen, ob physische Körper aus der Parallelwelt in unsere eigene
gebracht werden können. Jetzt wissen wir, dass es möglich ist, und das wird
viele Mitglieder der H3-Fraktion überzeugen, die jetzt noch zögern. Und jeden
Tag werden es mehr sein, denn wir werden ihnen Gedanken ins Unterbewusstsein
einpflanzen und ihr System der Loyalität und des gegenseitigen Vertrauens
untergraben."
Ein
zustimmendes Brummen ging durch den Rat. Man pflichtete Thumor-Anhu La-Fin bei.
Der Vorsitzende brachte sich gerade rechtzeitig ein:
„Mitregent Onuri-Unta La-Varrez
beschönigt die Geographie und Geschichte der Parallelwelt und hat es daher
versäumt zu erwähnen, dass die H3-Fraktion ihr größtes Land ist. Bei einer
Reihe von Gelegenheiten haben sie große Koalitionen der anderen Fraktionen
besiegt, denen wir begegnet sind. Und während Onuri-Unta die H11-Fraktion, kurz
nachdem sie das Spiel betreten hatten, ausgelöscht und die H8-Fraktion nicht
lange danach unterjoch hat - beides tapfere Kampagnen, das bestreitet niemand -
gibt es keinen Vergleich mit dem, was Thumor-Anhu vor sich hat."
Diese
Worte kamen genau zum richtigen Zeitpunkt. Dafür würde er sich erkenntlich
zeigen müssen. Selbst Thumor-Anhu La-Fin kannte diese Details nicht und machte
eine mentale Notiz, sich mit der Geschichte der Parallelwelt
auseinanderzusetzen. Der Bericht ging weiter. Thumor-Anhu hatte besonders Angst
davor, die beträchtlichen Lösegelder, die er gezahlt hatte, und den
vorübergehenden Waffenstillstand zu erwähnen, aber der Regierungsrat gab nicht
einmal einen Kommentar dazu ab. Tatsächlich gab es bis zum Ende der Rede, die
sich um die gestrige Schlacht handelte, keine Probleme.
„Aha,
mehr Beweise dafür, dass Mitregent Thumor-Anhu La-Fin keine Eignung als
Militärtaktiker oder Stratege hat.“ Mit dieser unterschwelligen Beleidigung
ergriff Mitregent Onuri-Unta La-Varrez das Wort. "Hast du absichtlich
versucht zu verlieren? Mit diesem einmaligen Vorteil und dem
Überraschungsmoment auf deiner Seite! Aber du hast versagt, und jetzt ist deine
ganze Fraktion in einer ernsten Lage!"
Der Rat
war angsterfüllt verstummt, als der falsche Stab in den Händen des großen
Magiers plötzlich mit heraufbeschworener Energie zu leuchten begann. Doch
genauso schnell wurde er wieder dunkel. Thumor-Anhu La-Fin versuchte sich zu
beruhigen und nicht versehentlich böse Flüche in alle Richtungen zu schießen.
Sein Gegner litt wohl kaum an Todessehnsucht. Wenn er Thumor-Anhu so provozierte,
hatte er bestimmt dafür gesorgt, dass er sich verteidigen konnte. Er muss
einige Freunde haben, die ihm den Rücken stärken würden, wenn es zu einem
Magierduell kommen sollte.
„Mitregent Onuri-Unta La-Varrez
sollte seine Informationen aus zuverlässigeren Quellen beziehen." Nicht
einmal ein Hauch von Verärgerung oder irgendeiner anderen Gefühlsregung war der
ruhige Stimme des alten Magiers zu entnehmen. „Unser Angriff hat seinen Zweck genau
erfüllt. Die Ölquelle des Feindes und die Raffinerie im Sumpfhexagon wurden
zerstört. Das ist ein schwerer Schlag für ihre Mobilität und militärische
Stärke. Ihr müsst wissen, die H3-Fraktion setzt erst jetzt allmählich Antigravs
ein. Ihre übliche Transporttechnologie benötigt Petrochemie zur
Kraftstoffgewinnung. Sie haben begonnen, in den felsigen Küstenbereich zu
expandieren, doch all diese Vorhaben hängen jetzt in der Luft, denn das Gebiet
ist zu schwer zu erreichen. Außerdem kann die H3-Fraktion derzeit aus demselben
Grund nicht mit den Geckho handeln. Das Wiedererlangen der Kontrolle über das
Sumpfhexagon und die Reparatur ihrer Zitadelle, abgerissener Brücken, Pontons,
Dämme und Verteidigungsstrukturen wird mindestens vier Tage dauern. Und es wird
auch vier Tage dauern, bis sie ihre Ölanlagen wieder aufgebaut haben. Und zehn
Tage danach ist der Waffenstillstand vorbei. Dann können wir alles einfach
wieder zerstören."
„Aber was ist mit den schweren
Verlusten an Arbeitskräften und dem erzwungenen Rückzug aus dem Sumpfhexagon?
Und der Stoßtrupp?" Onuri-Unta La-Varrez wollte einfach nicht
lockerlassen, aber es war klar, dass er nur noch halbherzig bei der Sache war,
denn seine Argumentation wurde zusehends schwächer.
„Wir haben nicht versucht, die
Kontrolle über das Sumpfhexagon zu übernehmen. Es ist zu schwer zu versorgen,
und wir müssten dort eine überproportional große Garnison aufstellen, weil es
so nah am feindlichen Kernland liegt. Haben wir erhebliche Verluste erlitten?
Natürlich, Tausende unserer Spieler mussten respawnen. Aber ich habe bereits
erwähnt, dass wir es mit ausgebildeten Berufssoldaten zu tun haben, und das
Durchschnittslevel der H3-Fraktion ist höher als unseres. Außerdem standen wir
im Sumpfhexagon der Ersten Legion gegenüber. Das ist die beste Elitetruppe des
Feindes, also wäre es etwas naiv zu erwarten, dass die Verluste auf beiden
Seiten gleich sind."
Bevor
Thumor-Anhu seine Rede fortsetzte, machte er eine kurze Pause und nahm einen
Schluck von einem Energie-Elixier. Seine alten Beine zitterten vor Erschöpfung,
und der Magier musste sich auf den falschen Stab stützen, damit er nicht vor
dem versammelten Rat zusammenbrach. Außerdem brauchte er eine Pause, um seine
Gedanken zu ordnen, denn das Schlimmste kam nun erst. Die feindlichen Plünderer
waren geradewegs in sein Territorium spaziert! Und dann musste man sich auch
noch auf der Zunge zergehen lassen, von wem sie angeführt wurden! Es war leicht
zu verstehen, warum dies ein heikles Thema war. Jetzt alles zu vertuschen, dazu
wäre er nicht in der Lage. Er überlegte kurz, dann beschloss der erfahrene
Politiker, ihnen alles zu erzählen.
„Die Plünderer also. Ja, sie
überraschten uns mitten in der Schlachten im Sumpfhexagon und an der Felsküste,
als sie plötzlich weit hinter unseren Kampflinien auftauchten. Schließlich
nahmen wir an, dass uns unsere Spione im Voraus über feindliche Kampfhandlungen
informieren würden. Aber wie unser Überläufer bereits erklärt hat, war selbst
die H3-Führung völlig überrascht. Dieser Überfall verlief zerstörerischer, als
wir es uns je hätten vorstellen können. Es dauerte einige Zeit, die Truppen von
der Front zurückzuholen, mit verheerenden Folgen. Die Infrastruktur des
Kornhexagons wurde schwer beschädigt, und es wird Zeit brauchen, um alles
wieder aufzubauen, was sie zerstört haben. Außerdem stürzte das
Versuchs-Antigrav Sio-Mi-Dori ab, als dieses sich anschickte, die
Plünderer zu verfolgen. Die Ursache dafür haben wir noch nicht gefunden.
Derzeit untersuchen hochqualifizierte Experten das Wrack, aber dieser Unfall
wird den Zeitplan für die Serienproduktion dieser Schiffe nach hinten
verschieben. Was den Anführer der Razzia betrifft, so war es ein Mann namens
Nat, ein Spieler, von dem viele von euch sicher schon gehört haben."
„Das schlaueste Mitglied der
H3-Fraktion? Derjenige, der Mitregent Thumor-Anhu La-Fins Enkelin zweimal
gefangen genommen hat? Respawnen musstest du auch bereits wegen ihm, wenn ich
mich recht erinnere."
Diese
Frage kam vom Vorsitzenden selbst, und das war wohl gut so. Thumor-Anhu La-Fin
wusste, dass bereits Gerüchte über diesen Nat kursierten. Es hieß, er habe den
Leng respektlos behandelt und Schande über die ehrenwerte Minn-O La-Fin
gebracht. Er wusste, dass seine Feinde sich gern dieser Taten brüsteten. Doch
es gab keinen Aufruhr bei den Worten „Leng beleidigen“ oder gar „eine edle Dame
entehren“. Mitregent Anri-Huvi La-Shin formulierte die Frage so diplomatisch
wie möglich und hoffte wahrscheinlich, in der Zukunft für diesen Freundschaftsdienst
entlohnt zu werden. Und das hatte er sich auch verdient.
„Ja, Mitregent Anri-Huvi La-Shin, das
ist der Mann. Übrigens rate ich allen anderen Herrschern, sich mit diesen Nat
zu befassen, denn ich bin sicher, dass dies nicht das letzte Mal sein wird,
dass wir von ihm hören. Er ist bemerkenswert. Ich beobachte ihn schon seit
einiger Zeit. Er ist immerhin noch ein neuer Spieler, und er begegnet Gesetzen
und jeder Obrigkeit mit Verachtung. In seiner Welt war er ein Verbrecher. Die
H3-Fraktion hasst ihn vor allem, da er einen geschätzten Kommandanten getötet
hat und sich im Allgemeinen ungehorsam und trotzig benimmt. Nun liegt es nahe,
zu meinen, es hanlde sich nur um irgendeinen dahergelaufenen Krimineller, und
das Beste, worauf er hoffen darf, ist lebenslängliches Arbeitslager. Aber
seltsamerweise hat Nat trotz allem bereits den Rang Gerd erreicht. Und unsere
Geckho-Oberherren sind verrückt nach ihm. Sie nehmen ihn mit in den Weltraum. Trotz
all ihrer Zusicherungen, dass sie sich nicht in unsere Konflikte einmischen
werden, reichte nur ein Wort von Nat und sie flogen aus dem All daher, um ihn
aus der Mitte eines Kampfes zu evakuieren!"
Nach
diesen Worten tönte ein Brummen durch die Kammer. Unter den Ratsmitgliedern war
eine heftige Diskussion aufgeflammt. Sie konnten ihr Erstaunen kaum verbergen.
Thumor-Anhu La-Fin war zufrieden mit diesem Effekt und machte eine kurze Pause,
damit sich sein Publikum Luft machen konnte, dann setzte er seine Rede fort.
„Und ist euch bewusst, was Nat ihren
Wissenschaftlern von seiner letzten Weltraumreise mitgebracht hat? Einen
Vernichter einer alten Rasse, einen funktionstüchtigen, gepanzerten Raumanzug
einer unbekannten Zivilisation und – das muss man sich vorstellen – ein äußerst
detailliertes Diagramm eines Geckho-Raumschiffs!"
Das
Publikum begann wieder zu lärmen. Einige Ratsmitglieder fuhren sogar von ihren
Plätzen hoch. Doch diesmal gebot ihnen der alte Magier Ruhe, damit er
weitersprechen konnte.
„Ich sehe, verehrte Herrscher, dass
auch ihr das Ausmaß des Problems erkannt habt. Wer weiß, was Nat von seiner
nächsten Reise ins All mitbringt? Wer weiß, welche Technologien sich unsere
Feinde auf diese Weise zu eigen machen können? Möglicherweise ist das eine
ernsthafte Bedrohung für den technologischen Vorsprung unserer Fraktion!"
"Er muss
aufgehalten werden", rief jemand, und Thumor-Anhu La-Fin stimmte eifrig
zu.
"Selbstverständlich!
Ehrbare Herrscher, ich weiß sehr wohl, dass ihr hinter meinem Rücken schlecht
über mich gesprochen und über meine Torheit gelacht habt. Ihr sagt, dass ich,
ein angesehener Leng und Fraktionsvorsitzender, einem gewöhnlichen Spieler zu
viel Aufmerksamkeit schenke, und ihr spottet über die 5000 Kristalle Kopfgeld,
die ich auf ihn ausgesetzt habe. Nun, ab sofort ist diese Summe verdoppelt.
Außerdem verspreche ich offiziell, jedem Mitglied der H3-Fraktion, das uns
hilft, Nat gefangen zu nehmen oder ihn in der realen Welt zu neutralisieren,
bei uns Asyl zu gewähren! Meine Agenten werden versuchen, diese Informationen
so weit wie möglich zu verbreiten, damit jedes Mitglied der H3-Fraktion Bescheid
weiß! Ich will, dass Nat keine ruhige Minute mehr hat, ich will, dass er nicht
schlafen kann, dass er in jedem, den er trifft, seinen potenziellen Mörder
sieht. Nicht einmal seinen engsten Verbündeten soll er vertrauen können. Selbst
wenn ich dieses Kopfgeld nie zahlen muss, niemand kann lange unter solchem
Stress bestehen. Nat wird sich gezwungen sehen, eine Entscheidung zu treffen:
Entweder er verlässt seinen Heimatplaneten für immer oder er schließt sich uns
aus eigenem Antrieb an! Und meine Intuition sagt mir, dass er sich für
letzteres entscheiden wird!"
Der
Rede des großen Magiers folgte tosender Applaus. Aus dem Augenwinkel sah
Thumor-Anhu La-Fin, dass auch die beiden anderen Mitregenten applaudierten. Die
Zustimmung des gesamten Rates! Er würde heute nicht seinen Rang, seinen Titel
oder sein Vermögen verlieren. Jetzt musste er nur noch seine Versprechen
halten.
Kapitel
Eins. Zurück ins All!
DIE ERSTE VERÄNDERUNG, die ich an Bord des Shiamiru
bemerkte, war, dass nicht mehr alle Kojen benutzt zu werden schienen. Auf
meinem letzten Flug war jedes Klappbett und jeder ausziehbare Sitz von einem
riesigen behaarte Geckho belegt gewesen. Aber jetzt, als ich den Flur
hinabging, sah ich, dass die oberen Betten zusammengeklappt und unbenutzt
waren. Es gab sogar in den unteren Reihen ein paar leere Schlafplätze.
„Sechs Besatzungsmitglieder haben
sich entschieden, ihre Verträge nicht zu verlängern", flüsterte Uline Tar,
als ich dies zur Sprache brachte. "Captain Uraz Tukhsh ist sehr besorgt
darüber, obwohl er es nicht zeigen will. Aber lass uns das später besprechen.
Jetzt schnall dich erstmal an. Wir fliegen los."
„Und was ist mit meinem verletzten
Freund?" fragte ich, besorgt um Dimitri Scheltow. Schließlich war dies
sein erstes Mal an Bord dieses Shuttles und er spach kein einziges Wort Geckho.
Aber Uline Tar beruhigte mich.
„Ein Arzt kümmert sich gerade um ihn,
alles in Ordnung. Dem menschlichen Pilot wurde die zweite Koje zugewiesen,
zusammen mit dem Navigator und dem leitenden Ingenieur. Und, nur damit du es
weißt, das ist eine große Ehre!"
„Und wo sind unsere Kumpels Vasha und
Basha?" Das Ende meiner Frage wurde von Motorengedröhne übertönt und Uline
schien mich nicht zu hören.
Ich
hatte die hünenhaften Zwillingsbrüder ohnehin bereits in der benachbarten Koje entdeckt.
Beide bleckten zur Begrüßung die Zähne und, der Bewegung ihrer Lippen nach zu
urteilen, riefen sie auch etwas. Ich winkte zurück, doch der enorme Andruck
machte diese simple Bewegung zu einem wahren Kraftakt. Und das war erst der
Anfang. Erst beschleunigten wir noch allmählich. Nach einiger Zeit wurde es
völlig unerträglich. Mein Rücken drückte sich so fest in den Sitz, dass ich
meinte, meine Knochen brechen zu hören. Bei unserem letzten Start war es etwas
weniger wild zugegangen. Alles Blut schien meine Gehirnwindungen zu verlassen
und mir wurde schwarz vor Augen. Ich klammerte mich verzweifelt an mein dahinschwindendes
Bewusstsein. Die einzige sensorische Verbindung, die mich noch an die Realität
hielt, war der Klang meines pochenden Herzens ...
Nein,
ich konnte doch nicht so sterben! Bevor meine Kräfte mich ein für alle Mal
verließen, öffnete ich das Menü und sah mir meine Statistiken an:
Gerd Nat. Mensch. Fraktion
H3.
|
|
Level-38-Prospektor
|
|
Statistik:
|
|
Stärke
|
13
|
Geschicklichkeit
|
15
|
Intelligenz
|
19
|
Wahrnehmung
|
21
|
Konstitution
|
13
|
Glücksmodifikator
|
+3
|
Parameter:
|
|
Trefferpunkte
|
817
von 998
|
Ausdauerpunkte
|
140
von 580
|
Magiepunkte
|
0
|
Tragfähigkeit
|
26 kg
|
Ruhm
|
34
|
Skills:
|
|
Elektronik
|
24
|
Scannen
|
37
|
Kartographie
|
39
|
Astrolinguistik
|
35
|
Einbrechen
|
15
|
Gewehre
|
37
|
Mineralogie
|
13
|
Mittlere
Rüstung
|
40
|
Adlerauge
|
39
|
Scharfschütze
|
17
|
Targeting
|
11
|
Gefahrensinn
|
15
|
Ich
musste auf der Stelle einen Punkt in Konstitution stecken! Ich fühlte mich
etwas besser, aber die Erleichterung war nicht von langer Dauer. Ich
investierte einen weiteren Punkt in meine Konstitution und brachte sie auf 15.
Mir war
sofort weniger schwindlig. Entweder war das auf meine verbesserte Statistik
zurückzuführen, oder wir hatten unsere Zielgeschwindigkeit erreicht. Ich zwang
mich, Luft zu holen und drehte meinen Kopf, um Uline anzusehen, die
wutentbrannt etwas von wegen „hirnloser
Captain" und „vergessen,
Schwerkraftkompensatoren einzuschalten" rief. „Oder vielleicht ist wieder etwas
kaputt gegangen. Dieser maßlos inkompetente Arsch mit Ohren!"
Also
war das nicht normal. Das beruhigte mich ein wenig. Aber da ich nicht mehr
länger über Statistik- und Skillpunkte nachdenken wollte, hielt ich das Fenster
offen und verbrachte einige Zeit damit, die Platzierung meiner restlichen
Punkte zu planen. Was genau brauchte ich?
Stärke?
Nachdem ich Konstitution verbessert hatte, war Stärke mit nur 13 Punkten meine
niedrigste Statistik geworden. Es bestimmte meine Tragfähigkeit, meine
Fähigkeit, schwere Waffen zu benutzen, die Wurfweite und den Schaden im
Nahkampf. Dann wiederum stellte sich die Frage, ob ein Prospektor oder Zuhörer
wirklich große Stärke benötigte. Die Antwort war gar nicht so offensichtlich.
Geschicklichkeit?
Die einzige Statistik, die ich nie verbessert hatte. Ich wusste jedoch, dass auf
diese Weise höherwertige Waffen der Gewehre-Gruppe freigeschalten werden
konnten. Und selbst wenn das meine einzige Motivation war, so reichte diese aus.
Der Krechet-Karabiner und der Vernichter benötigten beide die gesamte Agilität,
die ich besaß, so dass ich keinen besseren Karabiner führen konnte, ohne diese
Skill vorher zu verbessern. In Ordnung, ich würde einen Punkt hier investieren
und die Skill auf 16 bringen. Ich besaß noch fünf der acht Statistikpunkte, die
ich durch das Erreichen des Ranges Gerd gewonnen hatte.
Intelligenz?
Für einen Prospektor, der mit komplizierter Elektronik arbeitete, war dies eine
sehr, sehr wichtige Statistik. Ich vermutete, dass meine hohe Intelligenz ein
wichtiger Faktor dafür war, wie schnell ich auch Astrolinguistik und
Kartographie levelte. Ich hatte jedoch keine Ahnung, ob ein Zuhörer überdurchschnittliche
Intelligenz brauchte. Dennoch hatte ich nicht vor, vor dem Ende meines
Vertrages mit Captain Uraz Tukhsh die Klasse zu wechseln. Das könnte mich und
meine gesamte Fraktion in eine unangenehme Lage bringen. Schließlich war ich
mir nicht sicher, ob ein Zuhörer einen Prospektorenscanner benutzen konnte, und
immerhin war es das, womit ich beauftragt worden war. Jedenfalls war mir gerade
erst klar geworden, dass ich die Klasse wechseln konnte, also gab es keine
Eile.
Am Ende
entschied ich mich dafür, der Intelligenz einen Punkt hinzuzufügen und sie auf
20 zu erhöhen. Siehe da! Ich traute kaum meinen Augen. Ein weiterer Parameter
veränderte sich ebenfalls:
Magiepunkte
|
114
|
Im
selben Moment stieg ein blauer Balken unter meinem Lebensbalken hoch. Hatte ich
jetzt ein Mana? Das war genial, aber auch ein bisschen beängstigend. Was sollte
ich damit machen? Wofür konnte ich Magiepunkte ausgeben, und, aus technischer
Sicht, vor allem wie? Ich hatte keine Zaubersprüche zur Verfügung gestellt
bekommen, also war ich ratlos.
Mein
Plan war eigentlich gewesen, nur einen Punkt in Intelligenz zu investieren,
aber jetzt konnte ich mich nicht zurückhalten und fügte aus Neugierde einen
weiteren hinzu. Meine Magiepunkte wuchsen sofort auf 119. Aber was nutzte das
wohl?
Alles
klar, genug herumgealbert. Ich hatte noch Wahrnehmung, die wichtigste Stat
eines Prospektors. Ich war etwas verärgert, denn als ich den neuen
Zuhörer-Anzug anzog, musste ich meinen Infanteriehelm abnehmen. Leider war das
IR-Objektiv, das meine Wahrnehmung um zwei Punkte erhöht hatte, an meinem alten
Helm befestigt. Aber das ließ sich nicht ändern. Ich hatte die Wahl zwischen
dem Rüstungsanzug oder dem Helm und der Linse. Oder lag ich falsch? Ich würde
den Mechaniker des Schiffes fragen müssen, ob er die IR-Linse an den schwarzen
Zuhörer-Helm anpassen konnte. Aber dazu später. Jetzt musste ich meine letzten
drei Statistikpunkte verteilen.
Mit
einem davon brachte ich meine Wahrnehmung von 21 auf... Moment, warum 23 und
nicht 22? Wieso? Wie kam es, dass der Wert um zwei Punkte nach oben sprang? Da
öffnete sich auch schon ein Hinweisfenster, in dem erklärt wurde, dass ab 20
Punkten für jeden Punkt, den ich in die Stats investierte, ein weiterer als
Spezialisierungsbonus hinzugefügt wurde. Das war ja fantastisch!
Allerdings
brachte es mich in eine Zwickmühle, denn ich wollte nun Dinge, die sich
eigentlich gegenseitig ausschlossen. Ich musste entscheiden, was vorteilhafter
war: Die beiden verbleibenden Punkte in Wahrnehmung zu investieren, diese auf
26 erhöhen oder einen weiteren in Intelligenz zu stecken, um sie auf 23 zu
erhöhen? Aber dann blieb mir noch ein weiterer Punkt. Ich dachte lange Zeit
nach und kam zu dem Schluss, dass meine Hauptstatistik Wahrnehmung und nicht
Intelligenz war, also sollte ich diese verbessern. Gesagt, getan. Ich setzte
beide verbliebenen Punkte in Wahrnehmung und erreichte damit unfassbare 26
Punkte. Jetzt hatte ich eine beinahe beängstigende Beobachtungsgabe! Nichts
konnte sich vor meinem durchdringenden Blick verstecken!
* * *
GERADE HATTE ICH MEIN FESTER WIEDER GESCHLOSSEN,
das öffnete Uline Tar ihre Sicherheitsgurte und richtete sich zu ihrer vollen
Höhe auf:
„Eines
Tages bringen uns die miserablen Flugkünste dieses Möchtegernpiloten noch um. Wenn
nach dieser Reise nur mehr die Hälfte der Crew übrigbleibt, würde ich mich
überhaupt nicht wundern. Wer will schon Leib und Leben riskieren, nur damit ein
Aristokrat Pilot spielen kann?! Der einzige Vorteil ist all der Platz, den wir
jetzt haben. Als einzige Frau an Bord habe ich sogar meine eigene Koje! Wie dem
auch sei, ich muss mich jetzt anziehen!“ Mit diesen Worten lies die Händlerin
einen Metallvorhang herabrattern, schloss somit die Tür und blockierte ihre
Koje.
Dies
war das erste Mal, dass ich eine geschlossene Koje sah. Normalerweise waren sie
alle weit offen. Mir fiel ein, dass ich wahrscheinlich gehen sollte, damit ich
die pelzige Dame nicht in Verlegenheit brachte, während sie sich umzog. Doch
Uline ließ eine schwere Hand auf meine Schulter fallen und drückte mich wieder
auf die Bank:
„Nat,
du kannst bleiben. Du bist kein Geckho, also ist es egal, ob du mich siehst.“
Sie
sprach absichtlich lauter als nötig und wollte eindeutig, dass die andern
Geckho sie hörten. Gleichzeitig legte sie in einer vertrauten Geste ihre Hand
auf ihre Lippen. Ich war immer der Meinung gewesen, dass dies bedeutete, dass
wir uns später unterhalten würden, doch die Geste hatte eindeutig eine etwas
andere Bedeutung: „Halte den Mund.“
Astrolinguistik-Skill auf Level
36 erhöht!
Fasziniert
wartete ich darauf, was sie nun tun würde. Uline Tar zog einen Klapptisch aus
der Wand und stellte nacheinander 16 speziell geschliffene große rote Kristalle
darauf.
„Hier, Nat,
das ist dein Anteil der Lizenzgebühren für das Videomaterial aus der
Reliktikerbasis“, sagte sie so leise, dass ich beinahe von ihren Lippen ablesen
musste. "Es sind 1600. Lege sie in dein Inventar und zeige sie niemandem.
Das ist verdammt viel Geld. In dieser Galaxie gibt es genug Kerle, die schon
für weniger töten würden. Vasha und Basha haben dieselbe Summe bekommen und
werden, soweit ich weiß, den Shiamiru nach der nächsten Reise verlassen."
Ich
folgte diesem guten Rat und verstaute die Kristalle in meinem Inventar. Dann
fragte ich die die erfahrene Händlerin, ob jemand wie ich meine Ersparnisse in
einer Geckho-Bank anlegen könnte.
„Die
Shiharsa-Zivilisation hat nur eine Bank, die Bank von Shiharsa. Mehr brauchen
wir nicht“, lautete ihre etwas merkwürdige Antwort. „Ich weiß mit Sicherheit,
dass es Miyeloniern, Trillianern, Meleyephatianern und anderen Weltraumrassen
verboten ist, die Bank von Shiharsa zu benutzen, um potenzielle Feinde davon
abzuhalten, das Finanzsystem der Geckho anzugreifen. Vielleicht darf aber ein
Mitglied einer Vasallenrasse ein Konto haben. Ehrlich gesagt, Nat, ich weiß
nicht. Ich müsste mir die Gesetzgebung genauer ansehen. Aber diese
synthetischen Kristalle wurden erfunden, damit wir Geckho unsere Vasallen
bezahlen können, also ist es wahrscheinlich nicht erlaubt. Und jetzt dreh dich
bitte um, Nat. Ich muss mich umziehen und schminken.“
Ich
protestierte nicht, setzte mich im Schneidersitz auf den Rand der Bank, wandte
mich der Wand zu und öffnete mein Inventar. Ich hatte viel zu tun. Während unseres
Überfalls auf das Gebiet des Dunklen Bruchs hatte ich meinen Rucksack beinahe
wahllos mit erbeuteten Gegenständen gefüllt. Ich wusste sicher, dass ich eine
passable Mittlere Rüstung da drin hatte, einen Chamäleonmantel des Dunklen
Bruchs und ein futuristisches Lasergewehr, das ich aufgrund meiner Klasse nicht
benutzen konnte. Dazu noch einige andere seltsame Artefakte aus dem
abgestürzten Antigrav. Ich konnte ihre Eigenschaften nicht bestimmen, zog sie
aber trotzdem in mein Inventar. Es war an der Zeit, dieses ganze Zeug zu
sortieren, denn ich war vollkommen überladen und es wurde langsam unangenehm.
Zuerst
einmal überprüfte ich den Prospektorenscanner. Das feindliche Antigrav war
während meines Scans ganz in der Nähe gewesen, es gab also durchaus die Chance
... mein Herz pochte laut, während ich das Diagramm öffnete. Jawohl! Ich besaß
ein extrem detailliertes dreidimensionales Modell eines Sio-Mi-Dori Schocklandungsantigravs des Dunklen Bruchs. Ein
hervorragendes Geschenk für Gerd Ustinov und die anderen Wissenschaftler!
Danach
sah ich mir die Rüstung näher an. Es war eine dicke, dunkel gefärbte Jacke, die
aus zwei Schichten dichtem Synthetikgewebe bestand. Sie hatte Schutzeinsätze in
Brust, Rücken und Schultern, die aus einem Material bestanden, das einer
Mischung aus Keramik und dickem Kunststoff ähnelte. Ich hatte sie am Absturzort
des Sio-Mi-Dori mitgenommen, um
später einen Ersatz für meine Kevlarjacke zu haben. Ich wusste ja nicht, dass
ich schon bald den Zuhörer-Anzug erhalten würde.
Rüstung
Schock-Divisionskommandeur Dunkler Bruch
Chemische
Verteidigung +12, Strahlenschutz +12, Rüstung 34.
Statistische
Anforderungen: Konstitution 14, Stärke 14.
Fähigkeitenanforderungen:
Mittlere Rüstung 30.
Achtung!
Dein Charakter hat nicht genügend Stärke, um diese Kleidung zu tragen.
Die
Rüstung wog 8,5 Kilogramm, was einem Drittel meiner Tragfähigkeit entsprach.
Sie war in keinem Aspekt besser als die Zuhörer-Rüstung, also hatte ich keinen
Grund, sie zu behalten. Einfach so wegwerfen wollte ich das Kleidungsstück aber
auch nicht. Immerhin war sie den gepanzerten Jacken, die von meiner Fraktion
häufig verwendet werden, überlegen. Aber sie war zu sperrig und schwer. Sollte
ich Scheltow fragen, ob er sie wollte? Ich saß in Gedanken versunken da, als
ich direkt über meinem Ohr die Stimme von Uline Tar hörte.
„Übrigens,
Nat“, sagte sie. „Nein, nein, dreh dich noch nicht um! Ich wollte dir nur etwas
vorschlagen. Du solltest den Captain bitten, deine Kristalle zu verwahren. Er
kann sie in seinem Safe aufbewahren. Du müsstest aber erklären, woher du das
alles hast, was du am besten vermeiden solltest! Das Problem ist, dass Vasha,
Basha und ich ihm nichts von unserem kleinen Nebengeschäft erzählt haben. Ich
meine, es geht ihn nichts an. Also haben wir ihm offensichtlich unsere
Kristalle nicht gegeben.“
„Aber
benutzen die Geckho nicht alle ein elektronisches Zahlungssystem?“, fragte ich
überrascht, worauf die Händlerin mit einem Grinsen antwortete:
"Normalerweise,
ja. Aber dein Heimatplanet - verzeih mir - ist der Arsch der Galaxie und kaum
etwas funktioniert hier, einschließlich elektronischer Banksysteme. Sie
schicken uns also einfach einen Code, den wir in ein automatisches Terminal
eingeben, um Geld in Form von Kristallen abzuheben. Nun, was ist mit dem Safe?“
Ich
lehnte Ulines Vorschlag dankend ab. Ich wollte meine Freunde nicht
versehentlich verpfeifen, und mich beruhigte der Gedanke daran, dass das Geld
bei mir war. Auf diese Weise hatte ich jederzeit darauf Zugriff, ohne um
Erlaubnis fragen zu müssen.
„Du
wirst es selbst schon am besten wissen. Na gut, du kannst dich jetzt umdrehen.
Und hilf mir, die Schablone auf meiner Schulter zu halten! Es ist schwierig,
einhändig zu färben.“
Ich
drehte mich um. Uline hatte ihren gepanzerten Raumanzug entfernt und trug nun
eine kitschig gemusterte bauschige Robe. Sie war gerade dabei, ihr dichtes
schwarzes Fell zu färben. Dazu presste sie eine geometrisch gemusterte
Schablone fest an ihren Körper und trug einen flüssigen Aufheller aus einer
kleinen Flasche auf, vielleicht sogar stinknormales Wasserstoffperoxid. So
entstanden also die fantasievollen Muster auf ihrem schwarzen Fell.
Ich
half Uline bereitwillig und machte sogar eine Schablone auf ihrem Rücken ganz
allein. Mir kam das Szenario nicht ungewöhnlich oder peinlich vor, obwohl das
modebewusste Fellknäuel eindeutig ein wenig verlegen war. Ihr zufolge galt die
Körperpflege der weiblichen Geckho als etwas sehr Intimes, und die meisten
Geckho-Frauen vertrauten in solch privaten Angelegenheiten ausschließlich ihrer
besten Freundin. Aber es gab keine anderen Frauen in unserer Crew, also
beschloss Uline, einfach den Außerirdischen um Hilfe zu bitten. Sie war sich
erst gar nicht sicher gewesen, ob ich einwilligen würde. Im Gegenzug erlaubte
mir Uline, meine Sachen in ihrer Kabine zu verstauen und sogar ein paar Taschen
zu benutzen.
Mein
Gespräch mit der Geckho-Händlerin wurde jäh unterbrochen, als aus dem
Lautsprecher im Gang das bestürzte Gebrüll von Captain Uraz Tukhsh ertönte:
"Nnnat,
bitte auf die Brücke kommen! Wir brauchen sofort deine Hilfe!"
Kapitel
Zwei. Der Kopilot
AUF DER BRÜCKE
spielten sich erschreckende, beinahe surreale Szenen ab. Der Raum war übersät
mit umgestürzten Stühlen und zerbrochenem Glas, und der leitende Ingenieur lag
vor Schmerzen winselnd auf dem Boden und rieb sich den blutüberströmten Kiefer.
Raumschiffpilot Dimitri Scheltow drückte sich splitternackt und am ganzen
Körper mit einer grünen Substanz beschmiert in eine Ecke. In seiner zitternden
rechten Hand hielt er eine Pistole, die er abwechselnd auf den Captain und den
Navigator hielt, dabei forderte er sie hysterisch brüllend dazu auf, ihn sofort
wieder zur Erde zurückzubringen. In seiner linken Hand hielt er hoch über
seinem Kopf eine bereits stiftlose Splittergranate.
Adlerauge-Skill auf Level 40
erhöht.
„Scheltow,
was machst du da?“, rief ich außer mir.
Der in
die Enge getriebene Dimitri drehte den Kopf und richtete dann die geladene
Pistole auf mich. Offenbar erkannte er mich in der neuen Rüstung nicht und wurde
nur noch panischer als vorher. Ich hatte keine andere Wahl, als den Helm
abzunehmen und ihm mein Gesicht zu zeigen.
„Nat!
Äh... Gerd Nat?“ Scheltow senkte seine Pistole und rutschte nun völlig fix und
fertig der Wand entlang zu Boden. Ich hatte Angst, dass er seine Faust öffnen
und die Granate fallen lassen würde, aber mein Gefahrensinn meldete sich nicht,
also bestand wohl auch keine Gefahr. Und tatsächlich schob der Berufssoldat
seine Pistole langsam ins Holster zurück, hob den Granatenstift vom Boden auf
und setzte ihn wieder ein.
„Wo
warst du, Nat? Und wo sind wir hier?“ Die zitternde Stimme des Piloten verriet
seine übermannende Anspannung.
Das waren
seltsame Fragen, besonders die zweite. Ich fragte Scheltow, ob er sich daran
erinnerte, dass er nun der Copilot des Shiamiru war.
„Ich
wurde angeheuert, um ein Raumschiff zu fliegen? Ich erinnere mich nicht daran“,
gab der Raumschiff-Pilot zu. „Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, wie wir
den Turm des Dunklen Bruchs verlassen. Da waren überall Leichen, dann wurde mir
schwarz vor Augen und ich brach beinahe zusammen. Ich blutete, meine
Gesundheitspunkte waren fast aufgebraucht, es gab keinen Erste-Hilfe-Kasten,
und unsere Heilerin war tot. Und danach... Ich bin mir nicht so sicher. Das
Raumschiff ist gelandet, du hast mir gesagt, ich solle warten und bist
verschwunden. Dann wurde ich für eine Weile an den Schultern umhergeschleppt
und sah eine schwarze Fläche, auf der stand, dass mein Charakter bewusstlos
sei. Ich lag einfach weiter da, aber es änderte sich nichts. Ich verließ sogar
das Spiel. Ich wollte fragen, wie die Schlacht gelaufen ist, aber alle waren
immer noch beschäftigt. Ich ging zurück in meine virtuelle Kammer und kam
plötzlich bei diesen extremen G-Kräften zur Besinnung. Genau wie im
Sommertraining an der Akademie. Da bin ich also, öffne die Augen und sehe, dass
ich auf einem Tisch liege und ein Tier mit großen Zähnen mich ansieht. In der
einen Hand hält es ein kleines Messer und in der anderen eine Soßenschüssel,
aus der grüne Sauce auf meinen Körper tropft. Also hab ich das Biest natürlich
weggedrückt, bin vom Tisch auf und den Flur hinunter. Ich konnte dich nicht
finden, überall nur diese Dinger“, sagte Dimitri und deutete mit der Hand auf
den Captain, den Navigator und den Geckho in der Tür. „Und sie knurren alle und
zeigen ihre Reißzähne!“
Ich
hätte Dimitri wahrscheinlich beruhigen und geduldig die Situation erklären
sollen, doch ich konnte mich kaum halten vor Lachen! Und ich lachte, bis mir
die Tränen in die Augen stiegen. Ein Lachkrampf folgte gnadenlos auf den
nächsten. Als ich den Geckho erzählte, warum sich der Pilot so seltsam
verhielt, stimmten die Fellknäuel in mein Gelächter ein. Viel fehlte nicht und
sie wären lachend über den Boden gekullert. Ich hatte die Geckho noch nie in
einem solchen Zustand gesehen. Die riesigen pelzigen Kreaturen grummelten
vergnügt durch zusammengeklappte Zahnreihen und verzogen das Gesicht zu den
unglaublichsten Grimassen.
Wenn
ich nicht gewusst hätte, dass so ihr Lachen aussah, hätte ich wahrscheinlich
große Angst gehabt. Sicherheitshalber warnte ich meinen Freund, dass die Geckho
nur gerade vor Lachen beinahe keine Luft bekamen und ihn nicht erschrecken
wollten. Dimitri Scheltow lief rot an.
„Oh.
Ich wette, die denken jetzt, dass ich nicht alle Tassen im Schrank hab. Mein
Ruhm ist sogar auf vier gestiegen. Nat, du musst dich bei den beiden Geckho
entschuldigen, die ich zusammengeschlagen habe."
Ich
ging zu ihm hin und klopfte meinem Freund beruhigend auf die Schulter:
"Mach
dir keine Sorgen! Die Geckho verzeihen schnell und sind, soweit ich das sehen
kann, auch nicht sauer auf dich. Auf der letzten Fahrt ins All habe ich
versehentlich die Stromversorgung auf dem gesamten Schiff zum Kollaps gebracht
und es war kein großes Ding. Die Fellknäuel vergaßen es schließlich und
heuerten mich sogar für eine weitere Reise an. Das Wichtigste ist jetzt, zu
beweisen, dass du ein guter Pilot bist und Geckho zu lernen. Du musst zumindest
in der Lage sein, die Befehle des Captains zu verstehen. Daran führt kein Weg
vorbei. Und auf Level 50 solltest du Astrolinguistik nehmen. Auf diese Weise
wird es keine Verständnisprobleme mehr geben.“
* * *
UND SCHON SAß SCHELTOW in höchster Konzentration
und vor Anstrengung schwitzend auf dem Platz des Copiloten. Ein wenig groß für
ihn war der Stuhl noch. Ich stand neben ihm und übersetzte alle Erklärungen auf
den Bildschirmen, alle Hebel, Knöpfe und andere Geräteinformationen in der
Kommandozentrale des Raumschiffs.
„Bewege
diesen kleinen Hebel nach links, um die Trägheit im vierten Zyklus des linken
Manövertriebwerks zu mindern. Es wird verwendet, wenn man den Shuttle
horizontal nach rechts drehen möchte, um an eine Raumstation anzudocken. Dann
übernehmen die Schwerkraftkrane der Station. Du musst ihnen nur deinen Vektor
geben. Und denk daran, den Hebel entgegen die gewünschte Drehrichtung zu
bewegen. In Ordnung, das war auch schon so ziemlich alles! Nun, Dimitri, ich
hoffe, du hast etwas gelernt."
Astrolinguistik-Skill auf Level
39 erhöht.
Elektronik-Skill auf Level 26
erhöht.
Der
Copilot legte seine Hand auf den Hebel und bewegte ihn, um ein motorisches
Gedächtnis aufzubauen. Dann nickte er zur Bestätigung, obwohl er etwas unsicher
war und sogar Angst zu haben schien. Uraz Tukhsh knurrte zufrieden und fuhr in
seinen Erklärungen fort. Ich übersetzte wieder.
„In
Ordnung, jetzt geht es um Abbiegen nach links und rechts bei niedriger
Schwerkraft. Das wird verwendet, wenn man in der Nähe von Typ-6-Satelliten,
Kometen und großen Asteroiden fliegt. Du schiebst ihn vom vierten Zyklus zum
fünften hoch. Wenn man den Steuerhebel hierhin bewegt, ergibt sich eine
Drehrichtung, die auch das zweite und erste Manövertriebwerk in den Leerlauf
versetzt.“
„OK,
Nat, ich kann nicht mehr“, stöhnte Scheltow. „Mir dröhnt schon der Kopf. Er
platzt bestimmt gleich vor lauter neuen Informationen! Erster Zyklus, zweiter
Zyklus, Zugausgleich, Aberration des Schwerkrafttriebwerks... Zu viel neue
Begriffe! Sag dem Captain, dass ich eine Pause brauche! Ich habe
Raumschiffnavigation bereits auf acht gelevelt!“
Schade.
Laut Plan des Captains waren wir kurz davor, die Scanner und Radare des
Schiffes zu besprechen. Für diese interessierte ich mich besonders, weil ich
hoffte, die Scan-Ausrüstung des Schiffes für die Prospektion benutzen zu können
und auf diese Weise Kartographie und Elektronik schnell aufleveln zu können. Und
ich war so knapp vor Level 39. Mein Fortschrittsbalken war bereits bei 97
Prozent und ich bräuchte wahrscheinlich nur mehr zehn Minuten mit diesen ganzen
Fachausdrücken, um das nächste Level zu erreichen. Aber anscheinend war es an
der Zeit, unsere Unterrichtsstunde zu beenden. Scheltow hatte drei Stunden lang
Raumschiffnavigation gepaukt und seine grauen Zellen glühten. Ich selbst war
nicht im Geringsten müde, nur froh über die seltene Gelegenheit, Neues zu
lernen.
„Alles
klar, Dmmmitri, ruh dich aus!“ Uraz Tukhsh stimmte zu und ließ den Copiloten
gehen. „Wir werden den Unterricht in einer halben Ummi fortsetzen. Und um dir
ein bisschen Feuer unter dem Hinter zu machen, lass mich dich vorwarnen: Du
wirst den Shiamiru selbst auf dem Asteroiden landen. Wenn du erfolgreich bist,
kannst du dich meiner Crew anschließen!“
Nachdem
ich das übersetzt hatte, wurde Scheltow schneeweiß vor Schreck:
„Ist
der Typ nicht mehr ganz dicht? Das ist das erste Mal, dass ich das Ruder eines
Raumschiffs in der Hand habe. Ich verstehe kein einziges geschriebenes Wort
ihrer Sprache, und er vertraut darauf, dass ich dieses Schiff landen kann? Was
ist, wenn ich den Shuttle zerstöre? Ich würde nie in der Lage sein, ein Schiff
wie dieses zu bezahlen! Verdammt, wenn die ganze Menschheit zusammenarbeitet,
würden sie ein solches Schiff nie ersetzen können!“
Mir war
klar, dass der Captain jederzeit die Kontrolle über das Raumschiff übernehmen
und einen Fehler korrigieren konnte, so dass das Unfallrisiko nicht besonders
hoch war. Scheltow wusste das auch, er war nur verärgert, weil der Captain ihn
wie einen kleinen Schuljungen prüfen wollte. Doch anscheinend hatte der Pilot
bereis an Uraz Tukhsh einen Narren gefressen, denn mein Freund bat mich, dem
Captain zu sagen, dass er nur halb so viel Pausenzeit brauchen würde.
„Großartige
Neuigkeiten!“ Uraz Tukhsh bleckte zufrieden die Zähne und wandte sich an mich. „Dmmmtri
lernt schnell. Er hat zweimal in einer halben Ummi gelevelt, also wird er
bereit sein, wenn wir am Asteroidengürtel ankommen. Aber auch du, Gerd Nat,
musst dich beweisen. Der Asteroidengürtel ist riesig und enthält Milliarden von
Objekten. Die meisten davon sind jedoch nur wertlose Stücke aus Eis, Stein und
Nickel-Eisen-Gemisch. Wir haben dreißig Allreisen und zweihundert Landungen gebraucht,
bevor wir etwas auch nur im Entferntesten Interessantes fanden. Deine Aufgabe
als Prospektor ist es, das Verhältnis von Expedition zu Fund zu verbessern und
auf ein oder zwei Reisen einen Asteroiden mit wertvollen Mineralien für uns zu
entdecken. Wenn du das schaffst, werde ich dir eine feste Stelle anbieten.“
Damit
nannte er mir zum ersten Mal konkrete Bedingungen und gab mir, sofern ich sie
erfüllte, ein offizielles Beschäftigungsversprechen. Ich überdachte die Mission
still für mich. Mit den geologischen Analysatoren, die ich im Raumhafen gekauft
hatte, denen, die mir von Gerd Tamara gegeben worden waren, und denen, die Uraz
Tukhsh gekauft hatte, besaß ich insgesamt acht. Und das gab mir acht Chancen,
etwas Brauchbares zu finden und zu beweisen, dass ich ein wertvolles
Crewmitglied war.
Ich
verließ die Brücke und gesellte mich zu Dimitri Scheltow, der auf dem Flur auf
mich wartete.
„Nat,
ich mache mir Sorgen. Wir haben den Planeten ohne direkte Erlaubnis verlassen,
und die Führung weiß nicht, was aus uns geworden ist! Sie könnten denken, dass
wir gefangen genommen wurden oder, noch schlimmer, zum Dunklen Bruch
übergelaufen sind!“
Ich versuchte,
meinen Freund zu beruhigen und erzählte ihm, dass ich Ivan Lozovsky über Funk
erreicht hatte, um ihm zu sagen, dass wir beide mit dem Geckho-Schiff
aufgebrochen waren. Doch der Raumschiff-Pilot war nicht zu beruhigen.
„So
läuft das nicht! Wir brauchen eine Genehmigung für diese Expedition, auch wenn
sie nachträglich erfolgt. Wir brauchen auch eine klare Mission. Also werde ich
das Spiel sofort beenden und einen Bericht erstellen. Einer von uns muss die
Dinge nach Vorschrift machen!“
Ich sah
ein, dass es sinnlos war, zu streiten. Dieser überkorrekte Soldat war es
gewohnt, Vorschriften zu befolgen. Für ihn war die Vorstellung, dass man ohne
Befehle handeln könnte, undenkbar, wenn nicht sogar blasphemisch. Ich erinnerte
Dimitri daran, dass er nur eine Viertelummi Zeit hatte, bevor der Captain ihn
wieder brauchte. Das war eine Stunde und zwanzig Minuten. Ich bat ihn, mir auch
Neuigkeiten über den Waffenstillstand mit dem Dunklen Bruch zu bringen Wie war
die Situation an der Front? Wie stand es um unsere Verluste? Hatten wir es
geschafft, den Sumpf des Ostens zu halten? Hatte sich die Zweite Legion aus der
Einkesselung in Karelien befreien können? Ich wollte alles wissen.
Dimitri
nickte und sein Charakter erstarrte direkt vor mir im Flur und blockierte den
bereits engen Durchgang. Verdammt! War es wirklich so schwer zu begreifen, dass
man erst in seine Koje gehen sollte, bevor man einfach so das Spiel verließ?
Der Weltraum war eine rote Zone, so dass ein Avatar hier nie verschwinden
würde. Bevor der Captain oder sonst jemand wütend wurde, bat ich Vasha Tushihh,
mir zu helfen, den schweren Körper des Piloten in seine Koje zu schleppen. Der
riesige Geckho hob den versteinerten Dimitri auf, als wäre er federleicht, und
legte ihn auf ein freies Bett.
Ich
wollte das Spiel aber nicht verlassen, nur um einen dummen Bericht zu
schreiben. Außerdem war es noch nicht lange her, seit ich wieder in das Spiel
eingestiegen war, nur sechs Stunden. Ich hatte Angst, dass ich immer noch
Knochenbrüche und unverheilte Wunden hatte, die die Beweglichkeit
beeinträchtigen könnten. Außerdem hatte ich hier zu tun. Ich nutzte die kurze
Pause und machte mich auf den Weg zum Mechaniker des Schiffes.
* * *
EINE STUNDE SPÄTER war meine Brieftasche 2600
Kristalle leichter. Der Löwenanteil dieser Summe entfiel auf die Befestigung
der IR-Linse am Helm der Zuhörer-Panzerung. Ich vermutete, dass der pelzige
Mechaniker mir das Dreifache des üblichen Preises abgeluchst hatte, denn er war
nach höchstens zehn Minuten mit der Arbeit fertig gewesen und hatte keinerlei
Materialien benötigt. Andererseits hatte ich keinen Vergleich und jede Arbeit
mit einem einzigartigen Gegenstand barg größere Risiken, was entsprechende
Qualifikationen erforderte. Jedenfalls war die IR-Linse nun fest mit dem Helm
verbunden. Wenn nötig, konnte ich sie über mein rechtes Auge senken, und sie
funktionierte genauso wie vorher.
Der
Mechaniker modifizierte zusätzlich meine Waffen. Die meiste Anpassungsarbeit
benötigte das Krechet. Der erfahrene Mechaniker erweiterte das Magazin auf
vierzehn Schuss, erhöhte den Schaden um 15% und reduzierte das Gewicht der
Waffe um fast ein Drittel. Außerdem nahm er einige Modifikationen am Lasergewehr
des Dunklen vor, das ich aufgrund meiner Klasseneinschränkung bei
Maschinenwaffen nicht verwenden konnte. Nun feuerte das Lasergewehr nur noch
einzelne Impulse ab. Er baute auch eine leistungsfähigere Batterie ein und ließ
es leiser schießen.
Laserpulsgewehr Dunkler Bruch
(modifiziert)
Reichweite:
550 Meter.
Schaden:
1300-2800 HP.
Schussgeschwindigkeit:
11 Schüsse pro Minute.
Lautlos*
Statistische
Anforderungen: Geschicklichkeit 15, Stärke 13.
Fähigkeitenanforderungen:
Gewehre 45, Scharfschütze 20.
Akkuladung: 100%
Achtung! Dein Charakter hat
nicht genügend Skill in Gewehre und Scharfschütze, um diese Waffe zu benutzen.
Da
würde ich hineinwachsen müssen, aber ich war ein wenig in dieses futuristische
Gewehr, das leise und auf Ziele in über einem halben Kilometer Entfernung
schießen konnte, vernarrt. Ein Gewehr wie dieses könnte meinen Charakter trotz
meines Zuhörer-Anzuges in zwei oder drei Schüssen niederstrecken, also hoffte
ich, dass ich Feinde mit einem ähnlichen Level mit zwei Schüssen, vielleicht
sogar einem, besiegen konnte.
Schließlich
kam Dimitri Scheltow wieder ins Spiel und fand mich sofort. Sein besorgter
Gesichtsausdruck ließ mich erahnen, dass es Probleme gab. Und ich hatte Recht.
Ich schauderte, als der Raumschiff-Pilot mir die Neuigkeiten erzählte.
„Tyulenev
ist zum Dunklen Bruch übergelaufen! Sobald er auf feindlichem Gebiet war, hat
er unsere Seite angefunkt und gesagt, dass das ganze Durcheinander im Sumpf des
Ostens unsere Fraktion ablenken sollte, damit er sich über die Grenze
schleichen konnte. Er sagte, unsere Fraktion habe den Krieg bereits verloren,
und andere sollten seinem Beispiel folgen, bevor es zu spät ist. Und dieser
Verräter hat es geschafft, einigen genau das schmackhaft zu machen, bevor
unsere Techniker herausfanden, wie man das Signal blockiert.“
Die
Nachricht war nicht nur beunruhigend, sie machte mich sprachlos. Anscheinend
war der Dunkle Bruch in den letzten Monaten in alle unsere Pläne eingeweiht
worden. Sie kannten unsere Stärken und Schwächen, unsere Passwörter und Codes,
und wo wir unsere Minenfelder, Versorgungsleitungen, Feuerstellen und Gebäude
hatten. Und das war noch nicht alles.
„Aber
es gibt auch gute Nachrichten. Eigentlich sogar drei! Der Knoten des Sumpf des
Ostens hat trotz größter Schwierigkeiten gehalten. Als Gerd Tarasov mit
Verstärkung die Zitadelle erreichte, waren nur noch fünf Kämpfer am Leben!
Irgendwann waren alle Kommandanten gestorben, und Nelly Svistunova übernahm die
Führung über das Verteidigungsmanöver. Sie wird jetzt als Heldin gefeiert! Auch
in Karelien rannte die Zweite Legion den Dunklen Bruch in Grund und Boden. Sie
haben mehr als dreißig Brüchler gefangen genommen. Nach dem Verhör werden sie
gegen Ressourcen und vier unserer Soldaten, die im Sumpf gefangen genommen
wurden, ausgetauscht. Unsere Reise mit den Geckho hat nun den offiziellen Segen
von Radugin selbst. Er sagte mir, meine Mission sei es, Informationen über die
Eigenheiten und die Kultur unserer Oberherrscher, den Weltraum im Allgemeinen,
außerirdische Technologien und so weiter zu sammeln. Außerdem, Nat, wollen sie
wirklich, dass du einen Bericht über den Angriff hinter den Linien des Dunklen
Bruchs, deinen Aufstieg zum Gerd und deine neue Rüstung verfasst.“
„Was
ist mit der Razzia? Hast du es ihnen nicht erzählt?“
„Natürlich.
Aber sie wollen deine Sicht der Dinge hören.“ Bei diesen Worten starrte
Scheltow auf den Boden. „Ivan Lozovsky war höchst besorgt darüber, wie leicht
wir die Grenze zum Dunklen Bruch überschritten haben. Dutzende von erfahrenen
Aufklärungsgruppen versuchten es vor uns sowohl im Westen vom Friedhof und der
Goldenen Ebene aus, wo wir selbst die Grenze überquert haben, als auch im Osten
von den Großen Höhlen. Aber jedes Mal endete es mit einem Misserfolg.
Offensichtlich ist es vollkommener Unsinn, uns zu verdächtigen, für den Dunklen
Bruch zu arbeiten. Aber ich glaube, jetzt, da Tyulenev übergelaufen ist, haben die
Fraktionsvorsitzenden es mit der Angst zu tun bekommen und wollen auf Nummer
sicher gehen.“
Ich war
mit einem Mal stinksauer. Nach allem, was wir für die Fraktion getan hatten,
nahm ich an, dass wir vier Angreifer immun gegen solche Verdachtsäußerungen
waren. Wie undankbar! In vielerlei Hinsicht waren wir der Grund, warum unsere
Fraktion die Kontrolle über den Sumpf des Ostens nicht verloren hatte. Wer weiß,
wie die Situation hätte aussehen können, wenn wir nicht 300 Soldaten der
Dunklen Fraktion abgelenkt hätten! Hätten es die fünf letzten Verteidiger der
Zitadelle geschafft, einen noch heftigeren Angriff abzuwehren? Ich für meinen
Teil bezweifelte das stark!
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